Sonntag, 5. Februar 2012

LIEBES- GESTALTGEBET

Ich tue, was ich tue,

dafür bin alleine Ich verantwortlich.
Und Du tust, was Du tust, wofür nur Du verantwortlich bist.

Ich bin nicht auf dieser Welt
um nach Deinen Erwartungen zu leben.

Ich kann und darf Erwartungen von Dir erfüllen - muss es aber nicht -
wie entlastend !

Und Du bist nicht auf dieser Welt
um nach meinen Erwartungen zu leben

Wie schön, dass Du viele meiner Erwartungen - ohne Belastung und Druck erfüllst.

Du bist Du und Ich bin Ich

Ich achte Deine Grenzen Du achtest meine Grenzen.
Ich achte Dich Du achtest mich.
Und manchmal verschmelzen wir
- in Liebe -.

Aus Ich und Du wird dann ein Wir.
Wir achten uns.
Ich achte Mich, Du achtest Dich.

Und wenn wir uns zufällig finden
- wunderbar -.

Manchmal erleben wir Situationen, in denen wir uns nahe sind.

Wenn nicht, kann man nichts machen, Begegnungen wollen wir nicht erzwingen.
Für sie bleiben wir offen.

Schön, dass es Dich gibt, dass es mich gibt.
Dass es uns gibt!!!

Fritz Perls

Montag, 2. Januar 2012

Das Gestalt-Gebet von Fritz Perls

  Ich lebe mein Leben und du lebst dein Leben. Ich bin nicht auf dieser Welt, um deinen Erwartungen zu entsprechen – und du bist nicht auf dieser Welt, um meinen Erwartungen zu entsprechen. ICH BIN ich und DU BIST du – und wenn wir uns zufällig treffen und finden, dann ist das schön, wenn nicht, dann ist auch das gut so.

Mittwoch, 23. November 2011

Erotische Übertragungsbeziehungen bei Frühgestörten


Übertragung ist das unbewusste Zusammenspiel zweier Lebensgeschichten. Übertragungen können durch den psychischen Zwang zur Wiederholung in einer aktuellen Inszenierung zu einer traumatischen Inszenierung für einen oder für "BEIDE" werden. Was bei der Übertragung geschieht ist die “falsche Verknüpfung” von einem Beziehungswunsch an den Anderen, der eigentlich einer Person der Vergangenheit gilt…einerseits. Andererseits ist tatsächlich das "DU" als Anwesender gemeint.
Es liegt ein unbewußter Wunsch zugrunde, den jeweils anderen, das "DU" dazu zu bringen, das "ICH" zu lieben. Das bleibt nicht ohne Wirkung. Bleibt nie ohne Wirkung. Wozu ist dieser unbewußte Versuch gut? Was ist das Ziel?
Heilung! Wenn man so will: der Versuch, die Liebe zu befreien. Der verzerrte Versuch durch aktive Wiederholung ein Kindheitstrauma zu überwinden. Ein Mädchen muss sich in den Augen des Vaters attraktiv fühlen können und dürfen, damit später ein Vertrauen in die Weiblichkeit entwickelt werden kann. Wenn das Mädchen nicht gesehen worden ist, nicht mit Attraktivität, nicht mit Leistung…dann ist das der Beginn des Problems. Das muss das "ICH" immer wieder wiederholen, um aus dem Konflikt auszusteigen, dann ist es verführerisch. Aber nicht erfolgreich, fühlt sich nicht attraktiv und nicht gesehen. Dieses Trauma muss überwunden werden. Und wie soll das gehen?
Es muss zunächst ein basales Verstehen zwischen dem Unbewussten des "DU" und dem Unbewußten des "ICH" geben. "Unbewußtes erkennt Unbewußtes unbeirrbar". Wie das geht ist lebensgeschichtlich zu erklären, es macht eine gemeinsame Sprache möglich. Zwei Lebensgeschichten verbinden sich unbewußt durch ihre Entwicklung, wie Magnete werden "ICH" und "DU" magisch aufeinandergezogen, ohne bewusst zu verstehen, warum, die erotische Übertragung beginnt in der ersten Sekunde des Aufeinandertreffens.
Was NICHT die gewollte Heilung bringt in einer erotischen Übertragung ist folgendes:
Das Ausagieren der erotisierten Gefühle. DAS führt in die Dramatik. Das wäre wie der Bruch eines Inzesttabus, den der Vater an seiner Tochter begeht.
Ausagieren demontiert, vollkommen. Jede Behauptung das Demontieren im Ausagieren verhindern zu können ist eine Illusion, vor allem dann wenn ein "DU" der eindeutig Dominantere ist. Es herrscht bedingungsloses Vertrauen, das ist Teil der Übertragung und macht unendlich verletztlich.
Was auch nicht zur Heilung führt, ist den Kontakt abzubrechen, um so der Situation zu entgehen.
Zurück zur Frage, was denn nun tatsächlich hilft. Es ist ein Kunstgriff, der nur wenigen, selbst sehr erfahrenen Analytikern gelingt. Die erotische Übertragung annehmen. Und dabei ist zunächst unerheblich, ob die “Liebe” als Gegenübertragungsliebe entsteht oder ob sie eine direkte Gegenliebe ist oder ebenfalls eine Übetragungsliebe ist, die in der Geschichte des "DU" begründet ist.
Die Kunst liegt darin, die aufkommenden Spannungen, erotisierende Gefühle, Begehren, Wünsche…zu halten und sie sogar atmosphärisch empathisch mitzustimulieren. Sich darauf einzulassen, die Gefühle zuzulassen und ohne Hemmungen zu denken, was man sich selbst zunächst gar nicht vorstellen wollte und konnte. Angstfrei und freiwillig etwas benennen, wo das "DU" gut hätte verleugnen können.
Das fühlt sich auch wie ein Spiel der Macht an. Das "ICH" fühlt sich durchschaut und auch klein gemacht. Aber an der Stelle wird es zur Musterunterbrechung. Das "DU" muss das Begehren wahrnehmen und benennen. Das, was dem "ICH" zuvor nicht passiert ist, ohne dass es in der Folge missbraucht wurde. Nur zu leicht ist es für das "DU" zu verdrängen, vor allem wo es an etwas von ihm selbst rührt, das eigene bedrohliches Begehren. Damit, dass das "DU" das nicht tut, macht das "ICH" die Erfahrung, ungefährdet sexuell verführerisch und sexuell begehrenswert sein zu können. UNGEFÄHRDET!
Dazu ist es aber notwendig, sich berühren zu lassen, in Verbundenheit, für "BEIDE". Ohne Angst der Versuchung nachgeben zu müssen.
Die verwirrenden Gefühle müssen herausgearbeitet werden, benannt werden; auf "BEIDEN" Seiten.  In normalen gesellschaftlichen Bezügen würde man ja durchaus daraus folgern, dass es einem “Antrag” gleichkommt, intim werden zu wollen, wenn man über solche Gefühle spricht.
Das Aussprechen schafft ja bereits Intimität, der man gewöhnlich einen Korb verpasst.  Das nicht reale leben einer wie auch immer gearteten intimen Berührung führt dazu, dass es die Möglichkeit gibt, den evozierten Raum zu schaffen, der die Körperlichkeit möglich machen "könnte". Gleich den Ideen in Platons Höhlengleichnis. Damit wird der Verzicht auf direkte Körperlichkeit zum Gewinn eines evozierten Raums, der durch Körperlichkeit sofort zerstört würde und auch bei einer Verleugnung nicht auftauchen könnte. Der Verzicht von Körperlichkeit, der das Eintreten in die genitale Reife Stufe in Beziehungen überhaut erst möglich macht.
Die Einnahme einer exzentrischen Metaposition über "BEIDEN" ist die wichtigste Bedingung. Teil des heilsamen Prozesses ist das Reden über das Fühlen. Damit wird Triangulierung möglich, damit kommt das Dritte rein. Egal ob verbal oder non-verbal. In der Verständigung über Wünsche, Phantasien und Gefühle, um den Anderen damit zu erreichen, wird etwas Verbindendes geschaffen. Damit DASS "ICH" und "DU" reden wird gleichzeitig auch der Zustand der symbiotischen Verschmelzung beendet. Miteinander reden ist nur möglich bei deutlicher Getrenntheit. Damit dass das "DU" oder das "ICH" das Begehrliche, Phantasierte oder Evozierte ausspricht, damit wird eine Grenzverletzung verhindert, wird sozusagen das gesprochene Wort zum Gesetz.
Was wichtig ist, weil es das "ICH" und das "DU" davon trennt. Denn nicht das "ICH" oder das "DU" sind das Gesetz, welches “nein” sagt, sondern etwas Drittes.
Was dann entstehen kann, hat das Potential die die Angst vor dem alleine zu sein zu nehmen. Es gibt ein Gefühl von erfüllter Liebe und Wärme und Nähe, das ewige Sehnen nach dem mütterlich-paradiesischen Schoss hat ein Ende. Dazu muss die Übertragung aufgelöst werden, die Ent-wicklung der Ver-wicklung, die per projektiver Identifizierung in die Übertragung des Anderen reicht, in der das "DU" jeweils das "präödipale oder/und ödipale inzestuös gefährliche Objekt" ist, welches das jeweilige "ICH" zu vernichten droht.
Wenn das der Kern einer (Übertragungs-) Beziehung ist, dann braucht es die Sicherheit, dass das jeweilige "DU" nicht weggehen wird und das jeweilige "ICH" nicht vernichten wird. Beides nicht im Realen, sondern in der Übertragung.
Warum "inzestuös gefährliches Objekt"? Das inzestuöse Verlangen des Kindes zur Mutter, ist die Verlockung und der Wunsch zu verschmelzen und darin aufzugehen, sozusagen symbiotische Verschmelzung, von der Getrenntheit weg zur Einheit. Darin ist aber Entwicklung nicht möglich und deshalb müssen alle progressiven Wachstumsanteile zurück gestellt werden. Das ist für "BEIDE" gleichermaßen bedrohlich. Wenn das "ICH" nicht wächst, dann ist es tot. Das sind die Kognitionen auf Bewusstseinsebene, auf der unbewussten Ebene ist es die reaktualisierte Angst des Verschlungenwerdens durch die Mutter, die sich nicht abgrenzen kann und nur ihre eigenen Bedürfnisse realisiert und diese nicht zugunsten des Kindes zurückstecken kann. Und doch ist diese erste Lebenszeit in der Verschmelzung mit der Mutter, die, die das Fundament für alle späteren Liebebsbeziehungen bildet. Für Jungen und Mädchen gleichermaßen. Die erotische Übertragung ist das, was in diesen Zustand führt oder genau diesen Zustand zum Ziel hat. Es ist eine Objektsuche, die immer wieder eine präverbale Erinnerung inszeniert. Die erotische Übertragung signalisiert das Auftauchen des Wunsches, ein neues transformierendes Objekt zu finden, das intrapsychische Veränderungen ermöglichen wird. Jene innerpsychischen Konflikte aufzulösen, die depressiv ichbezogene Mütter im "ICH" und im "DU" gleichermaßen geschaffen haben.
Die Fähigkeit, zu lieben oder erotische Bindungen aufzubauen, ist jedoch kein Ziel, sondern ein Prozeß. Es gibt keine Position außerhalb des Erotischen, die Nähe zulassen würde. Jeder Versuch, das Erotische zu verstehen, ist an sich ein Akt erotischer Entwicklung: ein Akt der Liebe und Intimität auf den tiefsten Ebenen. Der regressive Sog, der von symbiotischen Verschmelzungsphantasien ausgeht, bringt uns dazu, etwas aus der Vergangenheit wiederzuentdecken und zu suchen, immer und immer wieder. In dieser Suche wird oft Sexualität mit Erotik dann verwechselt. Ohne zu finden, was man sucht, vielleicht für Sekundenbruchteile, aber nicht als gesättigtes Gefühl.

Die selbstbezognen Depression der Mutter führt zu einer massiven Verletzung des narzißtischen Omnipotenzgefühls des Säuglings, weil er nicht das Strahlen in den Augen der Mutter herbei führen kann, das er bräuchte, um die symbiotische Situation als Ausgangspunkt für späteres Wachstum zu erleben und nicht als dessen Bedrohung. So führt langer Augenkontakt, länger als die gesellschaftlich vertretbaren 5 Sekunden, zu sofortiger Reaktualisierung der frühen Sehnsucht, denn das früheste Mutter-Kind-Paar ist das einzige, das auch diesen langen Augenkontakt hält, in dem der Säugling gesunde narzißtische Spiegelung erfährt, oder eben nicht, wenn die Mutter, aus welchen Gründen auch immer, das nicht kann. Die Suche danach hört nie auf. Deshalb ist Blickkontakt gleichermaßen bedrohlich und reizvoll, deshalb verfällt man schnell in aggressive Abwehr. Dieses Gefühl ist scheinbar nicht zu ertragen, wenn es nicht in körperlicher Verschmelzung endet, die scheinbar das Äquivalent ist.
Mit Sexualität würden dem "ICH" und dem "DU" die Chance verbaut, daran zu wachsen, zu verinnerlichen. Denn es ist gerade die inzestuöse Grenze, die das Gefühl zu einem sicheren Gefühl macht. Und es ist in seiner Grunderscheinung völlig asexuell, nicht genital, eben nur erotisch.
Aber die Erotik wirft Licht auf die verborgensten Winkel der Psyche, auf selten bis nie betretene Pfade des Innenlebens. In der Beziehung zu jemand anders besteht das Wesen des Erotischen darin, diese beiden Menschen auf der intimsten und tiefsten Ebene aneinander zu binden. Daher ist die erotische Übertragung potentiell das einflußreichste und positivste Element in einem solchen Prozeß, den man nur therapeutisch nennen kann, wenn es nicht die ursprüngliche Mutter-Kind-Beziehung ist.
"In der glücklichen Liebe verbinden sich drei Elemente:(1) das Wiederfinden früher Liebesobjekte auf verschiedenen Ebenen (2) die Verbesserung gegenüber dem alten Objekt, weil man findet, was man nie hatte; (3) ein gewisser Grad an Spiegelung des Selbst im geliebten Anderen."

Und genau das bietet die erotische Übertragung an, ohne gebunden zu sein an verbindliche Beziehung, in der Freiheit. Wenn wir es dann schaffen, nicht zu agieren, dann gibt es die Chance auf heilsame Veränderung. Eben weil die erotischen Liebesstrebungen sublimiert werden können, läßt sich die Übertragungsliebe in den Dienst der auf Einsicht beruhenden Heilung stellen.

Sexualisierungsstrebungen dienen dabei eher dem Zweck narzisstischer Bedürfnisse und feindseliger Wünsche. Diese verhindern dann, dass die bedeutsamere erotische Phantasie, nämlich der (präödipale) Wunsch, mit allen Fehlern und Schwächen geliebt zu werden, zu Tage tritt. Der macht verletzlich. Und dieses Gefühl haben zu dürfen und zulassen zu können, was letztlich dem verbotenen inzestuösen Wunsch entspricht, das zu containen, im besten Falle gegenseitig, DAS ermöglicht gesunde Entwicklung und reifere innere Objektkonstanz, die dann narzißtisch weniger verwundbar macht.
Aber gerade in diesem symbiotischen Sog an die frühe mütterliche Spiegelung liegt eine Gefahr, die "BEIDE" zu vermeiden suchen, da er Angst macht. Vor allem aber der männliche Teil, da es der Verlust der Männlichkeit, ja ein scheinbarer Rückschritt auf die prägenitale Stufe ist. Nur ist es kein Rückschritt, sondern die Voraussetzung zum Eintritt in die genitale ödipale Situation, unter Verzicht auf narzißtische Omnipotenzgefühle.

Eine erotische Übertragung ist der Ausdruck eines Wachstumswillens, der mit Versäumnissen der ersten Jahre zusammen hängt, doch zumeist verkannt wird und dann das Trauma vergrößert und die Chance auf Heilung verkleinert, wenn es zum Agieren oder Flüchten kommt.

Dienstag, 20. September 2011

Philobat II

Die Erklärung liegt ausserhalb eines Narzissmuskonzeptes, das finde ich beruhigend. Und die Erklärung ist mir ein Hoffnungsschimmer, weil ich etwas verstanden habe, was ich vorher nicht verstand. Durch Anklammerung kann es niemals ein Gefühl von Gehaltenwerden geben.
Was habe ich verstanden? Stelle man sich eine schwarz-weiss-Welt vor, das ist für den Moment einfacher. Der Oknophile sieht in den Objekten die hellen Inseln in einer Welt, die sonst nur schwarz ist, alles was zwischen den Objekten ist, ist schwarz und dort droht Gefahr. Weil die Welt zwischen den Objekten schwarz ist, sieht er auch die Gefahren nicht. So sind die Gefahren nicht die Gefahren an sich, sondern alles, was nicht Sicherheit bedeutet, die Leere ohne Halt ist die Gefahr. Der Oknophile braucht seine niederen Sinne, braucht die Berührung, das Körperliche “haben” ist das Einzige, was wirklich Halt verspricht. Objekte sind Menschen, an die man sich klammern kann; Orte, die beruhigend sein sollen. Übergangsobjekte, die umklammert werden müssen. Zeit ist eine Gefahr, denn sie bildet gleichsam eine Leere zwischen den Berührungen. Da können SMS helfen, Mails, Anrufe, aber im Grunde tut es schon weh, wenn die Antwort nicht gleich kommt. Katastrophe, wenn es keine Beantwortung gibt. Der Weg von einem Objekt zum Nächsten (oder von einem Termin zum nächsten) ist von Angst umgeben und muss schnell überwunden werden.
Objekte, die sich umklammern lassen sind selbst Oknophile, die selbst die Hoffnung schöpfen, aus der Umklammerung Sicherheit zu gewinnen. Aber die kriegen beide nicht, sie enttäuschen sich gegenseitig, wenn sie sich ent-täuschen. Bei den meisten schlägt es wohl eher in unbewusste Aggression um, die dann gegen sich selbst und manchmal auch gegen Andere gewandt wird. Und sie endet in einem Weltbild, der Mensch sei schlecht und enttäusche immer, überall lauere immer Gefahr. So bildet sich im besten Fall ein psychosoziales Arrangement, in dem der Eine der Sicherheitsanker für den Anderen bildet in oft sich verschränkenden neurotischen Störungen. Und die Gefahr kommt ja immer wieder, wie aus dem Nichts. Durch die anklammernde Körperhaltung, des Einsatzes der niederen Sinne ist er gar nicht in der Lage, die Gefahr zu erkennen, geschweige denn ihr entgegen zu treten. Das Leitgefühl ist Angst. Die Objekte müssen um alles in der Welt verteidigt werden, sie sind der einzige Halt, sie stehen symbolisch für die liebende Mutter. Für diese Schwachheit verachtet der Oknophile sich selbst.
Der Philobat indes sieht die ihn umgebenden Objekte in weiss und auch die Zwischenräume in weiss, wodurch er die Gefahren, das Schwarz, deutlich sehen kann. So ist der Sinn des Philobaten der Gesichtssinn, er sieht der Gefahr ins Auge, die Körperhaltung ist eine offene, gerade, der Welt entgegen. Er sieht in den Zwischenräumen seine Welt. Dort erlebt er die “freundlichen Weiten” (Balint), ein “ozeanisches Gefühl” (Freud), den “Flow” (Csikszentmihalyi), denn er erobert seine Welt durch skills. Jede Gefahr bringt ihm die Entscheidungsfreiheit, sich zu stellen und ggf. neue Skills zu lernen oder auszuweichen oder auch nichts zu tun, was eine nicht zu unterschätzende Fähigkeit ist. Aber dazu muss der Philobat gelernt und vor allem emotional verstanden haben, dass Objekte vom Subjekt getrennt sind. Die Trennung ist notwendig, weil sonst der Gesichtssinn nicht zum Tragen kommt. Ich kann mein Gegenüber erst anschauen, wenn eine zumindest minimale Trennung vorliegt. Je größer die Distanz, um so klarer der Blick auf die Zusammenhänge. Damit muss der Philobat die Sicherheit in sich tragen, dass Leben, Zärtlichkeit, Güte, Intersubjektivitätserlebnisse auch dann möglich sind, wenn man vom Objekt getrennt ist, entweder zeitweilig, als auch für immer.

Jede Gefahr, jede Veränderung bietet eine weitere Möglichkeit, die eigenen Skills zu überprüfen, sich seiner selbst zu überzeugen, das Einzige, worauf er sich verlassen kann. Objekte können verschwinden. Es gibt immer wieder neue Möglichkeiten, die erblickt werden können. Die Freiheit ist wichtig, er kümmert sich scheinbar nicht darum geliebt zu werden, weil er weiss, dass er wieder ein neues Objekt erobern kann, wenn er eines braucht. Die Welt ist ein Spielplatz, ein Jahrmarkt, auf dem man den Thrill sucht. Dies ist das Erleben einer jeden Eroberung, einer neuen Aufgabe oder Gefahr. Einer jeden Runde auf der Nordschleife, jede Eroberung eines Objektes, das einem dann gewinnbringend zulächelt und bereit ist, zu tun, was man gerade braucht. Der Thrill, die Angstlust.

Zur Ausführung, zum Leben dieses Thrills braucht es jedoch auch für den Philobaten der Objekte. Die noch so heroichsten Philobaten brauchen Objekte, seien es Waffen, die sie in Händen halten, elektrische Geräte, der Stab zum Hochsprung, die Skier, das MOTORRAD, er ist im höchstem Grade abhängig, um sich seine Unabhängigkeit immer wieder im Thrill zu beweisen. Damit ist Gefahr verbunden. Die Objekte haben eine gefährliche Anziehung für den Philobaten, die er nicht wahrhaben will. So wird die Gefahr eher in den Geräten selbst gesehen, als darin, sich von ihnen trennen zu können. Und so sieht es auch der Oknophile, er sieht die Gefahr auch nie im Objekt, sondern in der Welt und glaubt, sie könne vermieden werden, wenn er sich nur fest genug an das Objekt klammert.

Der Mensch sieht sich in der frühen Kindheit damit konfrontiert, dass die Objekte ambivalente Züge annehmen, ja sogar aggressiv sind. Darauf gibt es diese beiden Reaktionsweisen, oknophile Anklammerung an die Objekte oder das Vertrauen in die freundlichen Weiten, in der der Philobat die Objekte als störend empfindet, wo er sich Skills aneignet, um mit ihnen fertig zu werden, wenn man ihnen nicht ausweichen kann. Objekte sind gleichsam Ausrüstung, die hilfreich sein soll.

Der Oknophile verleugnet das Getrenntsein vom Objekt, er entwickelt die Fähigkeit, innige Objektbeziehungen zu entwickeln und aufrechtzuerhalten – dies hat für den Philobaten höchstens zweitrangige Bedeutung.

Was ist nun gesünder? Sich ängstlich an die Liebeobjekte zu klammern? Die Angst zu haben, sie könnten sich ändern, sobald man den Kontakt verliert? Oder umgekehrt, die Objekte immer wieder fahrenzulassen im Vertrauen, dass man stets neue gewinnen kann, oder gar, dass man zu den alten zurückkehren kann und ihrer Zuwendung unverändert sicher sein darf?

Beide sind in ihrer Sichtweise nicht realistisch. Beide streben sie demselben entgegen. Das ozeanische Gefühl, der Flow, die freundlichen Weiten stehen symbolisch für die Ursituation, in Ur-Vertrauen Einssein mit dem Objekt. So sind die freundlichen Weiten dasselbe wie die furchterregenden Räume, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Sie bilden die Regressionsziele. Der Oknophile klammert sich an, je fester, um so geringer das Gefühl tatsächlich gehalten zu sein. Er bildet sich letztlich ein, das Objekt sei Teil seiner Selbst und könne es nicht mehr verlassen oder fallen gelassen werden, denn das wäre das Unglück erster Ordnung.

Der Philobat sieht die Objekte als getrennt von sich, die er entweder für sich erobert (aktive Liebe) oder vermeidet, dafür erlernt er Skills. Sie sind die Fähigkeit, sich mit der Realität auseinander zu setzen. Absolute Voraussetzung dafür ist die Erwerbung der Fähigkeit, dass man die Trauer auf sich nehmen kann, die entsteht, wenn man sich von den Objekten als getrennt erlebt.

“Die persönliche Geschicklichkeit ist die Quintessenz des Philobatismus: ohne Geschicklichkeit gibt es keinen Philobatismus. Das letzte Ziel des Philobaten ist indes, die Aufgabe so vollkommen und elegant zu meistern, daß das Können keine Anstrengung mehr verlangt. Nach Erlangen dieser höchsten Kunst kann sich die Wirklichkeit in eine Art Märchenland verwandeln, wo alles nach Wunsch geschieht und gar keine oder nur wenig Anstrengung vom Philobaten erfordert wird.” (Balint)

Um sich der Phantasie zu überlassen, dass in seinem Leben nichts geschehen kann, was nicht mit seiner Geschicklichkeit überwunden werden könnte, muss sich der Philobat einen erheblichen Grad persönlicher Fertigkeiten erwerben und seine Leistungen einer unablässigen, scharfen Realitätsprüfung und genauer Selbstkritik unterziehen. Die Progression geschieht um der Regression willen.

Rationale Welten erobert, in der der Flow erlebt werden konnte. Wenn meine Skills notwendig sind, die Anklammerung der Objekte verlassen. Und das verrückteste ist, den Skill innige Objektbeziehungen aufzubauen und Aufrecht zu erhalten zur Profession zu machen, und damit in die freundlichen Weiten aufsteigen können.
Und dann kam eine Erfahrung und damit eine Idee: immer diese freundlichen Weiten. Unbewusstes erkennt Unbewusstes unbeirrbar.

Andere sind genauso verletzt wie ich, aber sie sind einen anderen Weg gegangen, einen der mich angezieht wie ein Magnet. Objekte, die mich anziehen wie ein Magnet. Selbst nachdem Übertragungsbeziehungen verstanden sind, bleibt dennoch der oknophile Trieb, das Objekt haben zu wollen.

Das reflektiert weiss ich aber, dass es nicht mehr geht, selbst das Wünschen nicht. Mich überfällt dieser Verlust mit einer Trauer, die mein Herz zerreißt. Das Paradies gerade entdeckt, soll ich es wieder verlassen, weil nur die Trennung vom Objekt den freien Blick möglich macht.
Die Anklammerungswünsche müssen ausgehalten werden vom Objekt, zumindest zeitweise. Die Gegenwehr war für mich nicht sichtbar, nicht verständlich, gar nicht existent, weil es mein Weltbild störte, nicht passte. Vor allem waren da immer wieder Momente, in denen Nähe zugelassen wurde. Und in der Nähe hat der Philobat das Kunststück fertig gebracht, mich mit dem emotionalen Anteil der freundlichen Weiten zu infizieren. Körperlich er-fahr-bar, ohne Angst. In Abhängigkeit von jemand anders auf so einem philobatischem Gerät ohne Kontrolle zu sein. Und dann nicht nur die Abwesenheit von Angst zu erleben, sondern völlige Ruhe, Vertrauen. Die Schaffung eines Magneten, gleichsam die Schaffung eines sicheren Objektes in einer oknophilen Welt, ein inneres Bild von Ruhe.

Neben dem steten Ringen um Nähe und Vereinnahmung, Bezogenheit und Distanz, damit und daneben die Vermittlung von Skills, um in den freundlichen Weiten den Genuß des Augenblicks zu erlangen, auf dem Motorrad und in der Übertragung. Trennung vom Objekt wird möglich, weil die Verleugnung der Schädigung durch das Objekt nicht länger aufrecht erhalten werden kann und muss.

Und nun soll ich das hilfreiche philobatische Objekt loslassen, das hilfreiche Objekt aufgeben, um es als Gegenüber erleben zu können, was auch schon vorher passiert ist. Um mir eine neue Welt zu eröffnen: "Es macht leichter, lockerer-in jeder Hinsicht."

Das Objekt nicht aufgeben, nur die Anklammerung aufgeben, die Funktion aufgeben, die Fähigkeit erwerben, allein sein zu können, aber die Freiheit behalten, Intersubjektivität und Bezogenheit erleben zu können. Und auch die Fähigkeit innige Objektbeziehungen aufzubauen und zu halten, zu erhalten und zu erleben.

Sonntag, 4. September 2011

Philobat I

“Angstlust und Regression” gerade hinter mit gelassen. Balint schrieb1959 ein Buch, welches mich heute berührt und mir eine neue Sicht gewährt auf Erfahrungen und mich sehr erleichtert, weil es mich frei macht von pathologischen Beschreibungen. Das Finden von Worten bleibt mein Weg zu internalisieren, also werde ich jetzt versuchen zu übersetzen, was dieses Buch für mich bedeuten kann.
Es wird unterschieden zwischen Philobaten und Oknophilen. Die Welt des Philobaten besteht aus freundlichen Weiten, die mehr oder weniger dicht mit gefährlichen und unvorhersehbaren Objekten durchsetzt sind. Die oknophile Welt baut sich aus physischer Nähe und Berührung auf, die philobatische Welt aus sicherer Distanz und Fernsicht. Der Oknophile vertraut darauf, dass sein Objekt ihn gegen dir leere, unvertraute und möglicherweise gefährliche Welt beschützen werde. Der Philobat hat das Gefühl, dass er mit seiner Ausrüstung gewiß mit jeder Situation fertig werden könne und er werde wohl trügerische Objekte zu vermeiden wissen.
Die philobatischen Haltungen hängen mit der Trennung vom Objekt und mit dem Blick danach aus der Distanz zusammen, mag diese noch so klein sein. Die Haltung kann sich erst entwickeln, wenn gefühlsmäßig die Tatsache anerkannt worden ist, dass Subjekt und Objekt getrennt existieren, daß also beide auch ohne engen Kontakt miteinander weiterleben müssen und werden. Die Anerkennung der Tatsache, dass Leben, Zärtlichkeit und Güte auch dann moch möglich sind, wenn man entweder zeitweilig oder für immer vom Liebesobjekt getrennt ist. Erst nachdem dies emotional bejaht wurde, ist man fähig, dem Liebesobjekt zu erlauben, nunmehr seinen eigenen Weg zu gehen und ihm gegenüber “Rücksicht” oder gar “ Nachsicht” zu üben.
Während der Oknophile sich bei Gefahr zusammenkauert und sich an das vermeintlich beschützende Objekt klammert, bietet der Philobat der Gefahr die Stirn, um sie im Auge zu behalten, hält sich von Objekten fern, die falsche Sicherheit bieten, und steht aus eigener Kraft aufrecht da. Ihm ist nur seine Freiheit wichtig, und anscheinend kümmert er sich nicht sehr darum, ob er geliebt wird oder nicht, da er gewiß ist, daß er nötigenfalls die Liebe eines jeden Objektes erringen kann, wenn er will.
“Letztlich kann das wirkliche Ziel niemals durch Anklammerung erreicht werden. Es besteht ja darin, vom Objekt gehalten zu sein, und nicht, sich verzweifelt daran anzuklammern, dieses Gehaltensein sollte erfolgen, ohne daß man auch nur den Wunsch danach äußern muß.”

Mittwoch, 6. Juli 2011

Übertragungsliebe in der Analyse

Die psychoanalytische Behandlung ist der "Versuch, verdrängte Liebe zu befreien!" (Freud 1907)
Die Behandlung scheitert, wenn das unbewusst geliebene Zusammenspiel zweier Lebensgeschichten in einer aktuellen Inszenierung das traumatische Geschehen zur Wiederholung zwingt. Welche Elemente beider Biographien lösen die Dynamik dieses Zusammenspiels aus?
Freud schreibt in der nachträglichen Reflexion über die Liebesbeweise seiner Patientin diese nicht der Unwiderstehlichkeit seiner Person zu, sonder er "entwickelte die Vorstellung, dass die Gefühle und Wünsche dieser Patientin wahr und falsch zugleich sein könnten: Einerseits galten sie ihm, dem anwesenden Manne, andererseits waren es 'falsche Verknüpfungen', die den Beziehungswunsch mit ihm statt mit einer anderen Person aus der Vergangenheit der Patientin in Verbindung brachte".

Freud trifft die Unterscheidung zwischen "falscher Verknüpfung" und " unanstössiger Übertragung", zwischen neurotischer und nicht-neurotischer Übetragung "aus Gründen der therapeutischen Zweckmässigkeit in defensiver Absicht. Der Nutzen dieser Unterscheidung lag zunächst darin, daß er die intensive Arbeit und persönliche Beteiligung des Analytikers in der von infantilen, neurotischen Wünschen und Phantasien geprägten Übertragungsbeziehung erlaubt, weil sie daneben die Sicherheit einer relativ unneurotischen Beziehung bietet.  Die unanstössige Beziehung ist eine Bedingung dafür, dass die Neurose im Feuer der Übertragung 'schmelzen' kann, weil sie sicherstellt, daß dieser Brand auf ein Nutzfeuer begrenzt bleibt."

Es gibt Frauen, die jeden Widerstand aufheben, wenn man sie nackt sieht. Vielleicht ist das Preisgeben des Inneren eine psychische Exhibition, die einer völligen Hingabe gleich kommt. Erst die Liebe macht es ihnen möglich, sich in dieser Entblößung zu zeigen und die Entblößung zwingt sie, uns zu lieben. Und hinter ihrer Liebe lauert die Erwartung einer Gegenliebe. Von sexuellen Dingen zu reden ist "eine Realität im Sinne von psychischer Realität, diese Realität ist eine Verführung; von der Verführung zu reden, ist eine Verführung". (Neyrauth, 1976)

Die Patientin "hat von ihm (dem Analytiker) die Überwindung des Lustprinzips zu lernen, den Verzicht auf eine naheliegende, aber sozial nicht eingeordnete Befriedigung zugunsten einer entfernteren, vielleicht überhaupt unsicheren, aber psychologisch wie sozial untadeligen".

In der Übertragungsneurose verspürt der Analysand erotisch-sexuelle Wünsche gegenüber dem Anderen, dem Analytiker, und muss lernen, dass man den Anderen trotzdem oder gerade dadurch so nahe kommen kann, dass man sich eingesteht und auf die körperliche Verwirklichung verzichtet. "Wenn einer der nach Liebe greift, dabei immer nur Geschlechtsteile in die Hand bekommt, so ist das zwar für ihn charakteristisch, nicht aber für die Liebe."

In der Übertragung festigt sich der Ur-Wunsch des Patienten, ohne Bedingung geliebt zu werden. Für ihn ist die Ur-Form der Liebe so zentral, dass der Narzissmus nur ein Umweg ist, um von sich selbst das zu erhalten, was in früherer Zeit vermißt worden war.

Blum (1973) diagnostiziert bei diesen Patientinnen narzisstische und präödipale Aspekte hinter der ödipalen Fassade, vertritt aber die Ansicht, dass die erotisierte Übertragung durchaus Teil einer analysierbaren Übertragungsneurose sei, weil sie als verzerrter Versuch gesehen werden muss, ein Kindheitstrauma durch aktive Wiederholung zu überwinden.
Manchmal könnten die unbewussten Bedürfnisse des Analytikers zu einer Mesalliance mit dem Patienten führen, wo die erotischen Begierden des Patienten durch das verführerische Verhalten des Analytikers hervorgerufen werden.

 Die Grundannahme besteht darin, daß das Unbewußte des Analytikers das Unbewußte des Patienten versteht. Dieser Rapport in einer tiefen Schicht kommt in Form von Gefühlen an die Oberfläche, die der Analytiker in Antwort auf seine Patienten wahrnimmt, in seiner 'Gegenübertragung'.

Die technische Kunst des Analytikers liegt nun darin, die lustvollen Spannungen in sich nicht nur anklingen zu lassen, sondern sich anhaltend stimulieren zu lassen und atmosphärisch empatisch mitzustimulieren. Das setzt beim Analytiker die relativ angstfreie und freiwillige Aufhebung des Inzesttabus voraus, bei gleichzeitig aktivem nicht normativem Lustverzicht.

Nimmt der Analytiker die Übertragung voll an, so muß er sich auch in die Vorstellung hineinversetzen können, Liebhaber seines Patienten zu sein. Vorurteilsfrei und unbefangen sollte er in der Lage sein, ohne Hemmungen etwas zu denken, was das Inzest-Tabu der Menschheit zu denken- und erst recht zu tun- verboten hat. Er muss fähig sein zu denken, was die Abstinenz ihm zu tun verbietet, weil es die analytischen Erfordernisse gebieten.

Freud: "Jede psychoanalytische Behandlung ist ein Versuch, die Liebe zu befreien."
Hierbei ist es nicht unerheblich, ob die Überetragung des Patienten eine Gegenübertragung beim Analytiker auslöst und ob die Liebe des Patienten direkt die Gegenliebe des Analytikers weckt, ob sich das emotionale "Angebot des Analytikers" im " Echo des Analysanden " bricht.
Eine Frau sucht in Hoffnung auf Heilung von ihren Symptomen einen Psychoanalytiker auf, mit dem unbewußten Wunsch, ihn dazu zu verführen, sie bedingungslos zu lieben.

Der Analytiker weiss, dass er in seinem Begehren, Analytiker zu sein, versuchen wird, die Analysandin zu verführen, ihre Liebe hervorzulocken, sie zur Liebe geradezu zu zwingen. Doch bevor sie einander wirklich begegnen können, müssen beide die "einst frisch gedeckten Tische ihrer Kindheit" verlassen. Es genügt nicht, dass der Analytiker als verspäteter Gast am Tisch der Analysandin Platz nimmt; es kann sein, dass die Spuren der Gäste am Tisch der einen, die dort "gegessen, gefressen, gewütet, gefastet, verachtet, verschlungen, gestohlen und getrunken haben", auf die Zeichen eines verwühlten Liebesnestes des anderen treffen, wo "geschmust und gestreichelt, umarmt, geküßt, verführt und geliebt, geschlagen und gequält, ausgebeutet und benutzt, beherrscht und vergewaltigt, sexuell erregt und sexuell begehrt" wird. Möglicherweise entsteht dann das, was Ferenczi die Sprachverwirrung zwischen dem Erwachsenen und dem Kind nennt: der Dialog entgleist, und der Diskurs der Liebe kann gar nicht erst beginnen. Wenn die beiden sich begegnen wollen, dann müssen sie sich von den vertrauten Plätzen erheben und sich gemeinsam zu unbekannten Orten aufmachen, nachdem sie festgelegt haben, in welchem Rahmen das vor sich gehen soll.

In dieser Sichtweise ist gut zu erkennen, daß die Patientin in ihrer Übertragungsverliebtheit auf infantile Erlebnisse und Konflikte zurückgreift, aber wir erfassen weniger gut, daß die Patientin gleichzeitig als erwachsene Frau unübersehbar einen ernstgemeinten, der realen Person ihres Analytikers geltenden Beziehungsversuch unternimmt. So sehr ihre Libido zurück-fluten mag, so sehr meint sie doch ihn und keinen anderen.

Freitag, 7. August 2009

Narzissmus

In einem der hilfreichen Bücher, die ich entdeckt habe ist das Märchen vom Prinzen im Eisenofen als Bild, als Symbolträger benannt.
„Ein Königssohn wird von einer alten Hexe verwünscht, im Wald in einem Eisenofen zu sitzen. Nach vielen Jahren kommt eine Königstochter vorbei, die sich verirrt hat. Er schickt ihr jemand mit, der sie schweigend nach Hause führt. Dafür soll sie mit einem Messer wiederkommen, ihn befreien und heiraten. Stattdessen schicken sie und ihr Vater die schöne Müllerstochter, dann die noch schönere Schweinehirtentochter hin. Beide schaben 24 Stunden erfolglos und verraten sich dann. Unter Drohung muss die Prinzessin doch selbst kommen und ihn befreien. Er gefällt ihr, doch sie bittet sich aus, nochmal zu ihrem Vater zu dürfen, was er ihr gewährt, wenn sie nur drei Worte spricht. Weil sie aber mehr spricht, wird der Eisenofen weggerückt. Auf ihrer Suche kommt sie zu einem alten Häuschen mit kleinen dicken Kröten. Die alte Kröte gibt ihr drei Nadeln, drei Nüsse und ein Pflugrad. Damit überwindet sie einen gläsernen Berg, drei schneidende Schwerter und reißendes Wasser und lässt sich im Schloss des Prinzen als Magd anstellen. Sie erhandelt sich von seiner neuen Braut dreimal die Erlaubnis, in seiner Kammer zu schlafen im Tausch gegen die schönen Kleider aus den drei Nüssen. Zweimal erfährt er nur von den Dienern von ihrem nächtlichen Jammern, so dass er beim dritten Mal den Schlaftrunk nicht nimmt und mit ihr flieht. Das Haus mit den Kröten ist zu einem Schloss geworden mit Kindern. Sie heiraten und nehmen auch den einsamen Vater zu sich.“
http://www.grimmstories.com/de/grimm_maerchen/der_eisenofen
Hier ist das Märchen vom Prinzen im Eisenofen nachzulesen, wenn es denn in seiner Vollständigkeit gelesen sein muss, um die die Bildersprache zu verstehen. Die Bildersprache ermöglicht vor allem über etwas zu sprechen, ohne dass man es gleich auf sich selbst beziehen muss. Sie sind ideale Projektionsflächen auf denen sich emotionale Probleme, wie auf einem Bildschirm abbilden lassen. Die Distanz erleichtert oftmals Verstehen, das dann im nächsten Schritt die Selbstbezogenheit möglich macht. 

Märchen, Träume oder Bilder in der tiefenpsychologischen Betrachtung haben immer zwei Ebenen. Zum einen die intrapersonelle, als auch die interpersonelle. 
In einer intrapersonellen Betrachtung sind ALLE Teile und Personen, die in einem Märchen, Traum, Bild oder ähnlichem vorkommen, als Teile des eigenen Selbst zu verstehen. Auf der anderen Ebene werden die Anteile als interpersonelle gesehen. Das ist zum einen wichtig, um so etwas wie Gegenübertragung zu verstehen, und auch um das Phänomen der Passung zu verstehen.


Was ist der Anfang? Der Hintergrund ist eine narzisstische Verwundung, die in der frühen Kindheit stattfindet. Wobei EINE nicht heißt, dass es sich zwingend um ein singuläres Ereignis handelt. Die Kumulation von vielen, für sich alleine vielleicht unschädlichen Ereignissen, kann die Verwundung ebenfalls bewirken. Das Kind lernt Fühlen und Empfinden dadurch, dass es gespiegelt wird. Findet diese Spiegelung aber nicht statt, dann führt das zum Erleben emotionaler Verlassenheit. Diese Verlassenheitsgefühle werden dann immer wieder neu ausgelöst, wenn keine adäquate Spiegelung erfolgt. Ein Gespräch abrupt abzuwürgen mit der Bemerkung „das kenne ich“, das sind solche Enteignungen, fehlenden Spiegelungen, in denen Gefühle des Anderen nicht ernst genommen werden.
Wenn man nicht gleich beantwortet wird, dann ist man schell dabei die Frage zurückzunehmen. Weil es in Frage stellt, weil es so schwer ist, fehlende Spiegelung auszuhalten. Genau so schwer ist für Andere auszuhalten, keine Antwort zu erhalten. Das löst Selbstzweifel und Selbstentwertung aus, negative Ideen davon, woran das liegen könnte und das hat im Grunde nichts mit dem Gegenüber als Person zu tun.

Die narzisstische Verwundung entsteht vor allem in der magischen Phase „Zur Zeit, wo das Wünschen noch geholfen hat“. Wo sich in einer normalen Phase der Grandiosität Realität, Phantasie und Traum noch vermischen. Diese Phase wird dann viel zu schnell und oft viel zu hart beendet mit einer Erziehung, die darauf abzielt, die Realität in den Mittelpunkt zu stellen. Die Kreativität wird radikal durch Logik, Vernunft und Konsequenz ersetzt. Im Märchen steht, dass die Hexe (die hier für die negativen (Selbst-)Anteile der Mutter steht) den Königssohn in den Eisenofen hinein verwünscht. Dieser Ausdruck ist wörtlich zu nehmen, denn die Mutter (besser der dunkle, gestörte Teil der Mutter) wünscht sich etwas Falsches. 

Mit dem dicken Eisenpanzer werden die Gefühle eingesperrt und festgehalten, sie stehen einer Welt der Vernunft störend gegenüber.
Ein Kind lernt sich selbst zu lieben, wenn es von der Mutter adäquat geliebt wird. Passiert das nicht, zieht sich das Kind in seine innere Welt zurück, um sich vor einer grauen, ängstigenden oder gar harten Welt zu schützen. Mütter, Eltern, die sich selbst nicht mögen, können ihr Kind nur unzureichend spiegeln, sie können nicht zum Ausdruck bringen, dass es willkommen und gut ist, und zwar genau so, wie es ist. 

Oft sind die Manipulationen aber auch so subtil, dass von außen Betrachtende eine besonders gute Mutter sehen. Immer aber will eine solche Mutter ein Kind haben, das ihren eigenen Vorstellungen entspricht. Was sich beim Kind entwickelt ist ein grandioses Selbst. Die Identifikation findet mit dem eigenen Idealbild statt, um auf die Weise Unabhängigkeit von der Bewertung durch andere herzustellen. Was wir an negativen Anteilen haben, die nicht in dieses Ideal passen, werden verdrängt oder in andere projiziert, wo wir sie dann bekämpfen können, wo wir sie entwerten können. Im Gegenteil dazu wird alles, was dieses grandiose Selbstgefühl unterstützt, fördert und bestätigt, begrüßt und idealisiert.

Die Abwertung der Anderen ist etwas, wobei man sich immer wieder ertappt. Zwar weiß man die Abwertungen in seinen Aussagen zu kontrollieren, aber sie sind da. Wenn man verlangt, dass andere etwas tun müssen, damit sie etwas erreichen. Wenn es wütend macht, dass Menschen sich in gemachte Nester setzen und dann damit prahlen, als wäre es auf deren eigener Arbeit gewachsen. Oder wenn man empfiehlt, die Komfortzone zu verlassen und man hart sagt:“ wenn du ein Anstrebungsziel hast, dann kannst du auch was verändern.“ Ja, aber dabei geht ja völlig aus dem Blick, warum dieser Mensch in dieser Haltung ist. Klar ist das nicht wichtig für das Erreichen eines Zieles. Der Blick zurück ist da nicht hilfreich. Und doch… für die, die es eben nicht schaffen, sich selbst aus dem Sumpf zu ziehen, ist es wichtig sie dort abzuholen, wo sie sind. Das sind nicht deren Anstrebungsziele, sondern ein Punkt in der Vergangenheit, an dem sie aufgehört haben, für sich zu kämpfen, wo sie sich und ihre Wünsche aufgegeben haben, den Kampf nicht aufgenommen haben.

Die Identifikation mit dem eigenen Idealbild, das nicht an der Realität geprüft ist, weil es gerade darum geht, dass man nicht von der äußeren Welt abhängig ist führt, zu einer Schein-Unabhängigkeit. Der Schmerz darüber, nicht zu bekommen, was man sich doch so sehnlichst wünscht, führt zu weiterer Abkapselung, so dass man ihn irgendwann gar nicht mehr spürt. Weil man von seinen Eltern nicht bekommt, was man braucht, versucht man es mit Autonomie zu erreichen. 

An sich ist der Ofen im Märchen ja eigentlich etwas wärmendes, wenn auch hier kalt und sogar durch das Metall Wärme entziehend, wenn man die Hand dranlegt. Aber der Ofen, der in den Wald verbannt wird, kann dort nichts wärmen. Es bleibt der brennende Wunsch nach Liebe und Wärme. Also sind wir gezwungen, die früh vermißte Liebe in hoffnungslos übersteigerter Weise immer wieder zu suchen.
Eine weitere Belastung kommt für das Kind hinzu. Es spürt deutlich, dass die Mutter, die Eltern selbst sehr bedürftig sind, versucht mit allen Mitteln ihnen zu helfen. Mit dem Ziel, DIE Mutter zu bekommen, die einen spiegelt, dass man so willkommen ist, wie man eben ist. Nur zu leicht passiert an dieser Stelle, dass man hierfür sein wahres Selbst opfern muss, gezwungen ist, ein falsches Spiel zu betreiben. 

Es entsteht das tief verletzende Gefühl, dass man nur wegen der erbrachten Leistung geliebt wird. ABER…da wird dem Kind das Gefühl vermittelt, dass es gebraucht wird, dass es etwas wert ist. Nur zu leicht wird später das Gefühl beim Erfahren der Anerkennung verwechselt mit Liebe. Damit ist der Weg gebahnt: MIT LEISTUNG WERDEN WIR VERSUCHEN; DIE LEERE DER NICHT ERFAHRENEN LIEBE ZU FÜLLEN. Perfektionismus wird als Mittel eingesetzt, um andere vom eigenen Wert zu überzeugen. Damit gehorchen wir den Vorgaben der Eltern, leider aber behält die Dynamik noch lange ihre Kraft, selbst dann, wenn man sich radikal von seinen Eltern und der Familie abschneidet.


Im Menschen ist eine Art inneres Gefäß, in dem alles, was er an Zuneigung, Aufmerksamkeit und Sympathie geschenkt bekommen hat, gelagert werden kann. Ist dieses Gefäß in der Kindheit gefüllt worden, ist das Kind satt geworden an gut abgestimmter Zuwendung, dann entwickelt sich Urvertrauen, dann entwickelt sich ein gutes Selbstwertgefühl. Das sind die guten inneren Bilder, die internalisierten (Selbst-) Obejektrepräsentanzen, auf die man immer wieder zurückgreifen kann, wenn man sein Selbst bedroht sieht. Anders bei Menschen, die das nicht erfahren haben. 

Der Panzer ist durchlöchert, das Gefäß läuft immer wieder aus und muss unentwegt neu gefüllt werden: mit Bewunderung, Anerkennung und Liebesbeweisen durch Andere. Erfolge können nicht genossen werden, sie verstärken die Sehnsucht nach mehr.

„Die Energie dieser Menschen ist nicht selten extrem, und sie leistet häufig Beachtliches. Besonders versuchen sie, Macht zu erlangen, mit dem Ziel, die starke Angst vor Verletzungen zu besiegen. Sie sind häufig über weite Strecken äußerst diszipliniert und selbstbeherrscht, um sich vor Demütigung zu schützen.“ 

Jede erneute Kränkung wird als ein Anschlag auf die Existenz erlebt. Die Wunde, nicht um seiner selbst willen geliebt zu worden zu sein, ist immer noch offen und macht extrem verletzlich. Das macht es, in der Theorie zumindest extrem schwierig, sich in Andere einzufühlen und mitzuschwingen. In der Praxis glaube ich im Gegenteil, dass gerade das, was man in der Kindheit erlebt hat, dazu befähigt, sich in andere einzufühlen. Das ist eine Überlebensstrategie, die eben dafür sorgt, dass man keine Persönlichkeitsstörung bekommt mit den komorbiden Krankheitsbildern wie Sucht oder anderes. 

Schon als kleines Kind hat man lernen müssen, nonverbal, intuitiv einzuschätzen, wie es denn heute, in dieser Sekunde wieder ist mit seiner Mutter. Wie der Pegel steht und in welchem ihrer Zustände sie grad mal wieder ist, um ja das richtige zu tun.
Aus dem Kampf gegen die Nichtanerkennung einen Weg finden. „Ich möchte so mit mir reden, dass es mir hilft!“ Ja, wenn die Eltern das nicht getan haben, dann ist das eine sehr gute Lösung, um nicht unter zu gehen in den Verletzungen. Das ist im Grunde genial, da ist Intelligenz meines Erachtens ein riesiger protektiver Faktor. Aus der Resilienzforschung geht das so klar hervor.

Heikles Weiterthema, die Beziehung. Die tiefe Programmierung des narzisstisch strukturierten lautet: Ich muß viel tun, um geliebt zu werden. Partnerschaften finden sich, wie bei jeder Struktur, nach dem Schlüssel-Schloß-Prinzip. „Mit traumwandlerischer Sicherheit finden sich Partner, die scheinbar entgegengesetzte Probleme haben. Der Königssohn im Eisenofen hat das Problem, sich nicht wirklich im positiven Sinne abhängig machen zu können. Die tiefe Verletzung, die nicht heilen konnte, läßt ihn auf Distanz bleiben. Er kann, so die Szene im Märchen, lediglich aus dem Ofen herausrufen, er kann sich so allerdings um das Problem der Prinzessin kümmern. Der stumme Begleiter, den der Königssohn der Königstochter mit gibt, damit er sie aus dem Wald hinausbegleitet, muß als ein Teil von ihm verstanden werden.“ Typisch für tief Verletzte ist, dass sie sich sowieso lieber um die Probleme anderer kümmern, als um ihre eigenen. Damit lenkt man gut von seinen eigenen Schwierigkeiten ab und erzeugt ein Gefühl der Überlegenheit und besonderer Bedeutung. Nein? Doch, wenn man ehrlich ist schon. 

Die Königstochter, wie zufällig wandert sie durch den Wald. Von der Mutter ist keine Rede, nur von ihrem Vater, dem König, er ist die wichtige Person. Die Königstochter spielt auch für ihn die wichtige Rolle, ist Partnerersatz. Damit dass die Mutter fehlt, fehlt das Vorbild zur Entwicklung der Weiblichkeit: die Mutter hätte ihr zeigen müssen, was es heißt, eine erwachsene Frau zu sein, die selbstständig leben kann. (Im Hintergrund immer, dass es sich um intra- und interpersonelle Anteile handelt. Die Königstochter als der weibliche Anteil in einem drin, das Yin sozusagen und aber auch in Bezug auf Beziehungen, welcher Art auch immer im Äußeren.) 

Die Königstochter erlebt so viel zu früh, die Sorgen und Nöte der Erwachsenen. Aber sie erfährt auch, dass sie gebraucht wird, fühlt sich aufgewertet und in gewisser Weise mächtig dadurch. Damit wird das Selbstwertgefühl aber in erheblicher Weise geprägt: ich bin nur dann wertvoll, wenn ich mich um die Sorgen und Nöte der Anderen kümmere. Damit verursacht jede Form der Autonomie, die Distanz von den Eltern schaffen würde, Schuldgefühle. 

„Zwei Menschen ziehen sich magisch an. Der Königssohn im Eisenofen hat das Problem, sich nicht wirklich auf eine Beziehung einlassen zu können. Der starke Eisenpanzer verhindert Nähe und positive Abhängigkeit. Der Eisenofen-Mensch ist unfähig, sich in andere Menschen hinein zu fühlen, sich wirklich auf sie einzulassen. Es ist seine extreme Verletzlichkeit, seine Angst vor (erneuter) Kränkung, die ihn auf Distanz bleiben läßt. Die unbewusste innere Entscheidung, nie mehr in einer Beziehung verletzt zu werden, verursacht durch die panische Angst vor Nähe. Das kleine Kind, das einmal auf die glühende Herdplatte fasste, bleibt dieser zukünftig mit großem Respekt fern. Viel tiefer und viel grausamer ist die Verletzung, die der Königssohn im Eisenofen erleben mußte.
Die Prinzessin hat das umgekehrte Problem. Sie ist unfähig, ohne Beziehung zu sein. Ihr tiefes Lebensskript lautet: ich muß mich immer um andere kümmern, damit ich mich wohl fühlen kann. Das Dilemma der Prinzessin ist darin zu sehen, dass sie Distanz nicht ertragen kann. Sie fühlt sich nur sicher, wenn sie sich möglichst eng gebunden weiß.“ (oder im übertragenen Sinne wenigstens einen kleinen Körperkontakt spürt, der unendliche Sicherheit vermittelt) 

Zwei Menschen mit entgegengesetzten Problemen: der eine, der seine Gefühle nicht äußern kann, die andere die ihre Gefühle nicht zurückzuhalten vermag. Ihre Gefühle sind nicht eingepanzert wie beim Königssohn, aber auch ihr fehlen wesentliche Fähigkeiten einer reifen, autonomen Persönlichkeit. Sie kann sich nicht abgrenzen, kann nicht nein sagen und ihr eigenes Königreich aufbauen, was bedeuten würde, Unabhängigkeit zu entwickeln. Wut und Haß sind Gefühle, die die Prinzessin nicht haben darf. 
Das Gegenüber, der Partner, der so gegensätzlich ist, ist der Spiegel für die ungelebte Seite von uns selbst, die wir eigentlich auch verstärkt leben sollten, vor der wir uns aber fürchten und die wir unbewußt, quasi stellvertretend durch den Anderen leben lassen oder zumindest spüren wollen. Weil wir uns fürchten davor, so zu sein, wollen wir den Anderen ändern. 

Der Apell an den Anderen, dass er sich ändere, damit es einem selber gut gehe, der ist doch genau derselbe, den unsere Eltern an uns gestellt haben: Sei so, wie ich dich haben will, damit es mir gutgeht. Damit ist aber auf beiden Seiten der Entwicklung zur Selbstständigkeit und Autonomie die Basis entzogen. Die Abhängigkeit vom Elternteil wird so zur Abhängigkeit vom Partner. Die Lösung besteht darin, die Spiegelfunktion des Gegenübers ernst zu nehmen und zu erkennen welche Bereiche bei einem Selbst unterentwickelt sind.

„Der Mensch im Eisenofen ist überlegen, weiß Bescheid, sein harter Panzer hat ihm den Überlebenskampf in einer ängstigenden und bedrohlichen Welt ermöglicht. Dies imponiert der Prinzessin-Frau, da ihr genau dies fehlt.
Der Eisenofen-Mensch fühlt sich magisch angezogen von einer Frau, die fähig ist, tiefe Gefühle zu zeigen. So kann sie zum Beispiel traurig sein und weinen, etwas, was der Mensch im Eisenofen schon lange nicht mehr vermag…hinter der großartigen Fassade ist er selbst erschreckend klein und verletzlich. Traumwandlerisch finden sich Menschen, die ihre Kindheitstragödien miteinander vermischen.“

Es „funkt“ dann, die Passung ist einfach da. Die Projektionen von tiefen idealisierten Bedürfnissen nach Auffüllen der inneren Leere können natürlich nicht erfüllt werden, was nach der tiefen Entwertung, die dann folgt, die Suche von vorne beginnen lassen würde. Der Andere soll zum Retter werden, was dem Anderen narzisstischen Gewinn bringt, in der Form der erfahren Bewunderung. 

Das Märchen ist ja nicht zu Ende an der Stelle, sie leben nicht glücklich und froh bis an ihr Lebensende. Etwas ist aber klar geworden: der Königssohn glimmert in Gold und Edelsteinen, ein Mensch, der wunderschön ist, durch den Zauber der Hexe nicht verändert. Der tiefste Kern der Persönlichkeit wurde nicht verletzt; eine tröstliche Aussage. Der Weg aus dem Gefängnis ist nicht, die Erlösung in den Armen eines anderen Menschen zu finden, aber! sich auf die Nähe, Liebe, das Vertrauen einzulassen, setzt erst den nötigen Prozess in Gang.
Um sich von seinen Eltern zu lösen, muss man satt geworden sein. Satt und zufrieden in dem Sinne, dass man sich der unbedingten Liebe seiner Eltern gewiß sein konnte. Kinder, die nicht satt geworden sind, werden in der Liebe scheitern. Sie können den Anderen nicht als eigenständig akzeptieren. 

Angst vor Liebesverlust, Eifersucht, extreme Verletzlichkeit und verdeckte Selbstzweifel lassen Beziehungen mißlingen. Der gekränkte Königssohn, der maßlos enttäuscht ist, flieht hinter Glasberge, die Härte und Kälte ausstrahlen. Damit fangen die Schwierigkeiten erst an. Die Forderung des Königssohns, dass die Prinzessin nur drei Worte sprechen darf, macht den gigantischen Besitzanspruch deutlich, den der Mensch im Eisenofen hat. Es ist eifersüchtig auf den Vater, mit dem die Prinzessin sich eng verbunden fühlt. Wenn der Mensch im Eisenofen im unmittelbaren Gegenüber mit der Geliebten den Eisenofen verlassen kann, dann muss er sofort befürchten, dass die alten Gefühle wiederbelebt werden. Flüchtet wieder in sein selbst gewähltes Gefängnis, um seiner Verletzlichkeit nicht willkürlich ausgeliefert zu sein. Das selbst gewählte Gefängnis der Einsamkeit ist sicherer und weniger schmerzhaft als das wunderbare Gefühl von Nähe, Vertrautheit und Liebe. 
Zum Lebensmotto wird dann nicht nur „ich brauche niemanden“, sondern „ich werde alles tun, damit dies auch so bleibt.“
Im Märchen macht sich die Prinzessin auf die Suche nach dem verlorenen Geliebten, es ist der Teil des narzißtischen Menschen, der sich auf die Suche nach seiner Liebesfähigkeit macht. Sie nimmt alle Mühen auf sich, scheut keine Gefahr und doch macht ihr Verhalten irgendwie einen kindlichen Eindruck. Wie kann man nur, so möchte man fragen, seine eigene Persönlichkeit so vollkommen aufgeben? Wer tut so etwas? Kleine Kinder! Sie tun einfach alles, um die Liebe des Vaters oder der Mutter zu gewinnen, überhaupt Liebe zu gewinnen. Notfalls stellen sie sich selbst und ihre Bedürfnisse zurück, um den Erwartungen der Eltern gerecht zu werden. So bleibt die Prinzessin kindlich, sucht die Abhängigkeit und glaubt, ohne diese nicht leben zu können. In ihrem Verhalten erkennt man eine Form der Abhängigkeit, die nur zu oft verwechselt wird mit reifer, partnerschaftlicher Liebe.

Nur die Frage: „Wer bin ich wirklich?“ führt weiter. Die Suchwanderung der Königstochter ist ein Bild dafür. Die Suche nach sich selbst braucht viel Anstrengung und einen enorm hohen Einsatz. Die Königstochter beginnt ihre Suche erst in der größten Not, oft ist es so, dass Menschen erst zu einer Veränderung bereit sind, wenn es ihnen sehr schlecht geht. So wie es auch ganz deutlich ist bei den Suchterkrankten, erst wenn sie ganz am Boden sind und keine Hilfe mehr ihr Leiden verlängert, dann erst bekommen sie die Chance, in ihrer Not neu zu beginnen, manche ergreifen sie dann.
Aber auch die Eisenofenmenschen tun sich schwer dazu zu kommen, dass sie Hilfe brauchen, das Motto ist allzu oft, es alleine zu schaffen. Sich in Abhängigkeit zu begeben heißt schließlich, sich verwundbar zu machen, Erniedrigung erfahren zu müssen oder Beschämung.
„Jemand, der hinter Zuneigung und Liebe herläuft, wird sich wegen dieses Verhaltens hassen. Ausserdem wird er letztlich nicht glauben können, dass die Zuneigung, die er erfährt, ihm selbst gehört, er bekommt sie lediglich dafür, dass er etwas Wichtiges für andere getan hat.“
Die völlige Verzweiflung der Königstochter mit dieser existentiellen Angst führen zur Kapitulation, die Situation muss ausgehalten werden „…auf dem Weg aber betete sie“. Sie unterwirft sich dem Leben, so wie es ist und ist dann bereit, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind, und dann begegnet sie den häßlichen Kröten.
Aber was will man denn in seinem Leben mit diesen häßlichen Kröten, wozu braucht man die denn? Was bringt es mir denn, sich mit denen abzugeben, sie anzuschauen, sie ernst zu nehmen? Sie passen nicht in das Bild, das sie gerne von sich hätte und auch nicht in das Bild, das Andere gerne von ihr hätten. Diese Kröten sind die Verletzungen, die Trauma, die für Wunden sorgen, immer verbunden mit der Angst, dass es weitere Beschämungen und Verletzungen geben könnte. Aber die Königstochter nimmt sich der Kröten an, sie ißt mit ihnen und verbringt gar die Nacht in ihrem Haus.


Kritik wird vernichtend erlebt, so als wäre die gesamte Person entwertet oder niedergemacht. Kritik als wohl gemeintes Interesse kann nicht verstanden werden. Die Nadeln, die man zum Überqueren der Glasberge braucht, weil die glatte äußere Fassade überwunden werden muss, sind die Kränkungen, die man bewusst in Kauf nehmen muss, um an die wahre Person zu kommen. Dazu gehört ein Risiko, das in manchen Konstellationen nicht ungefährlich ist, für beide Seiten im interpersonellen Prozess. Die Nadeln sind notwendig, um die verdrängten Gefühle wieder zu spüren, die zuvor abgetrennt worden sind und verdrängt worden waren. Sie tun weh. Gerade die extreme Verletzlichkeit gekoppelt mit der unsagbaren Angst, gekränkt zu werden, machen es so schwer, sich den Verletzungen zu nähern, sie offen zu legen, sich zu trauen, zu ver-trauen.

Der Mensch im Eisenofen lernt auszuteilen, um sich zu schützen, austeilen schafft Distanz, wie die schneidenden Schwerter  und vermittelt damit ein Gefühl der Überlegenheit. Im Elfenbeinturm sitzend, tief im Innern leidend, aber ohne echten Kontakt.
Der Eisenofen flüchtet, aber er wird nicht wirklich autonom. Er flieht hinter gläserne Berge und schneidende Schwerter, die wie Gefängnisse wirken. Wissen, Macht, Lob…das alles macht nicht wirklich frei. 

„Wenn er einen anderen Menschen idealisiert, dann nur, um sich mit seiner vermeintlichen oder tatsächlichen Überlegenheit zu identifizieren. Wird er von dem gerade noch idealisierten Menschen auch nur geringfügig gekränkt, erfolgt die Entwertung prompt und radikal.“ 

„Nur wer die eigenen Schwächen erkennt, sich mit ihnen anfreundet, wie dies die Königstochter mit den Itschen vorgemacht hat, überwindet die starren Glasberge, kommt anderen Menschen näher, weil er nun auch deren Unvermögen, Ängste und Fehler besser akzeptieren kann.“ 

Schon in der Bibel steht: Schwerter zu Pflugscharen machen. Der Pflug bricht den Boden auf, damit die Saat Wurzeln schlagen kann, aufgeht und Früchte trägt. Eine mühsame Arbeit, die viel Geduld verlangt und man weiß vorher nie, ob sich die Arbeit lohnt, ob es Früchte geben wird. Die Königstochter, die mit dem Pflugrad über die schneidenden Schwerter fährt, ist bildlich die Darstellung für die Aufgabe der aggressiven Abwehr, die mit Abwertung, beißender Ironie und Verletzungen auf Distanz hält, wer zu Nah kommen könnte.

Im Märchen fährt die Königstochter über den See. Und auch hier steht das Wasser für das Unbewusste. Der Mensch im Eisenofen löst Probleme gerne über den Kopf, hat sich dem Rationalen verschrieben…ein Kopfmensch. Die Gefühle sind ins Unbewusste verbannt. Diese Gefühle, die abgespalten und nicht spürbar sind, gleichsam gefährlich anmuten, müssen mit dem Kopf wieder verbunden werden, zu einer Gestalt. 

Die Verletzungen in der Kindheit waren meist so früh, dass es keine Erinnerung gibt. Manchmal finden sie aber ihren Weg, in Gegenwartsmomenten, in denen man sie fassen kann oder wieder weg schickt. Im Märchen ist der Königssohn betäubt, wenn sie bei ihm ist. Sie findet keinen wirklichen Kontakt, keine echte Begegnung. Erst die letzte der drei Begegnungen bringt Erfolg, aber sie ist hartnäckig. 

Sind die Eisenofen-Menschen in Beziehungen und konnten kein wahres Selbst entwickeln, dann haben die Beziehungen einen merkwürdigen Charakter. Es geht um Vorteile, geht die Rechnung nicht mehr auf, dann wird die Beziehung verlassen. Ist der Gewinn zu gering, dann wird der Einsatz zurückgefahren. Aber tiefe Trauer und echte Freude wird nicht erlebt.
Auf dem Weg aber, im Märchen, wenn die Hindernisse und Schwierigkeiten überwunden werden, dann können die letzten Schritte vollzogen werden.
Das Märchen zeigt beide Seiten der Medaille: die Königstochter, die alles hingibt, sich veräußert, alle Äußerlichkeiten opfert, um beim Königssohn zu sein. Ihre Trauer ist tief, und ich Treue hat kindlich anhänglichen Charakter. Auf der anderen Seite der Königssohn, betäubt durch Erfolg, Prestige, Macht, Einfluß und die Jagd danach. Alles wird perfektioniert, mit viel Energie erreicht, mit allen möglichen Mitteln erkämpft. Lieben zu erlernen ist da kein erstrebenswertes Ziel, das soll von alleine kommen, in der Form des richtigen Partners.

„Sehnsucht nach Liebe ist Liebe. Und siehe, du bist schon gerettet, wenn du versuchst, der Liebe entgegenzuwandern.“ Antoine de Saint-Exupéry

Für den Mann gilt es, die verlorene weibliche Seite, die weiche Seite, das Yin zu erlösen. Sie wurde eingesperrt in der Zeit der Verletzung, denn sie war nicht hilfreich. Sie sucht integriert zu werden. Sich positiv abhängig machen zu können, die Fähigkeit zur mitfühlenden, warmherzigen Beziehungsgestaltung, dann muss durch Eroberung und Verführung nicht mehr die „Männlichkeit“ bewiesen werden.
Für die Frau gilt es unabhängig und selbstständig zu sein, ihren Mann zu stehen. Dazu gehört, sich angemessen wehren zu können, eigene Ziele zu verfolgen, selbstsicher und selbstbewußt zu leben.

„Du brauchst nichts zu tun, um geliebt zu werden!“