Dienstag, 20. September 2011

Philobat II

Die Erklärung liegt ausserhalb eines Narzissmuskonzeptes, das finde ich beruhigend. Und die Erklärung ist mir ein Hoffnungsschimmer, weil ich etwas verstanden habe, was ich vorher nicht verstand. Durch Anklammerung kann es niemals ein Gefühl von Gehaltenwerden geben.
Was habe ich verstanden? Stelle man sich eine schwarz-weiss-Welt vor, das ist für den Moment einfacher. Der Oknophile sieht in den Objekten die hellen Inseln in einer Welt, die sonst nur schwarz ist, alles was zwischen den Objekten ist, ist schwarz und dort droht Gefahr. Weil die Welt zwischen den Objekten schwarz ist, sieht er auch die Gefahren nicht. So sind die Gefahren nicht die Gefahren an sich, sondern alles, was nicht Sicherheit bedeutet, die Leere ohne Halt ist die Gefahr. Der Oknophile braucht seine niederen Sinne, braucht die Berührung, das Körperliche “haben” ist das Einzige, was wirklich Halt verspricht. Objekte sind Menschen, an die man sich klammern kann; Orte, die beruhigend sein sollen. Übergangsobjekte, die umklammert werden müssen. Zeit ist eine Gefahr, denn sie bildet gleichsam eine Leere zwischen den Berührungen. Da können SMS helfen, Mails, Anrufe, aber im Grunde tut es schon weh, wenn die Antwort nicht gleich kommt. Katastrophe, wenn es keine Beantwortung gibt. Der Weg von einem Objekt zum Nächsten (oder von einem Termin zum nächsten) ist von Angst umgeben und muss schnell überwunden werden.
Objekte, die sich umklammern lassen sind selbst Oknophile, die selbst die Hoffnung schöpfen, aus der Umklammerung Sicherheit zu gewinnen. Aber die kriegen beide nicht, sie enttäuschen sich gegenseitig, wenn sie sich ent-täuschen. Bei den meisten schlägt es wohl eher in unbewusste Aggression um, die dann gegen sich selbst und manchmal auch gegen Andere gewandt wird. Und sie endet in einem Weltbild, der Mensch sei schlecht und enttäusche immer, überall lauere immer Gefahr. So bildet sich im besten Fall ein psychosoziales Arrangement, in dem der Eine der Sicherheitsanker für den Anderen bildet in oft sich verschränkenden neurotischen Störungen. Und die Gefahr kommt ja immer wieder, wie aus dem Nichts. Durch die anklammernde Körperhaltung, des Einsatzes der niederen Sinne ist er gar nicht in der Lage, die Gefahr zu erkennen, geschweige denn ihr entgegen zu treten. Das Leitgefühl ist Angst. Die Objekte müssen um alles in der Welt verteidigt werden, sie sind der einzige Halt, sie stehen symbolisch für die liebende Mutter. Für diese Schwachheit verachtet der Oknophile sich selbst.
Der Philobat indes sieht die ihn umgebenden Objekte in weiss und auch die Zwischenräume in weiss, wodurch er die Gefahren, das Schwarz, deutlich sehen kann. So ist der Sinn des Philobaten der Gesichtssinn, er sieht der Gefahr ins Auge, die Körperhaltung ist eine offene, gerade, der Welt entgegen. Er sieht in den Zwischenräumen seine Welt. Dort erlebt er die “freundlichen Weiten” (Balint), ein “ozeanisches Gefühl” (Freud), den “Flow” (Csikszentmihalyi), denn er erobert seine Welt durch skills. Jede Gefahr bringt ihm die Entscheidungsfreiheit, sich zu stellen und ggf. neue Skills zu lernen oder auszuweichen oder auch nichts zu tun, was eine nicht zu unterschätzende Fähigkeit ist. Aber dazu muss der Philobat gelernt und vor allem emotional verstanden haben, dass Objekte vom Subjekt getrennt sind. Die Trennung ist notwendig, weil sonst der Gesichtssinn nicht zum Tragen kommt. Ich kann mein Gegenüber erst anschauen, wenn eine zumindest minimale Trennung vorliegt. Je größer die Distanz, um so klarer der Blick auf die Zusammenhänge. Damit muss der Philobat die Sicherheit in sich tragen, dass Leben, Zärtlichkeit, Güte, Intersubjektivitätserlebnisse auch dann möglich sind, wenn man vom Objekt getrennt ist, entweder zeitweilig, als auch für immer.

Jede Gefahr, jede Veränderung bietet eine weitere Möglichkeit, die eigenen Skills zu überprüfen, sich seiner selbst zu überzeugen, das Einzige, worauf er sich verlassen kann. Objekte können verschwinden. Es gibt immer wieder neue Möglichkeiten, die erblickt werden können. Die Freiheit ist wichtig, er kümmert sich scheinbar nicht darum geliebt zu werden, weil er weiss, dass er wieder ein neues Objekt erobern kann, wenn er eines braucht. Die Welt ist ein Spielplatz, ein Jahrmarkt, auf dem man den Thrill sucht. Dies ist das Erleben einer jeden Eroberung, einer neuen Aufgabe oder Gefahr. Einer jeden Runde auf der Nordschleife, jede Eroberung eines Objektes, das einem dann gewinnbringend zulächelt und bereit ist, zu tun, was man gerade braucht. Der Thrill, die Angstlust.

Zur Ausführung, zum Leben dieses Thrills braucht es jedoch auch für den Philobaten der Objekte. Die noch so heroichsten Philobaten brauchen Objekte, seien es Waffen, die sie in Händen halten, elektrische Geräte, der Stab zum Hochsprung, die Skier, das MOTORRAD, er ist im höchstem Grade abhängig, um sich seine Unabhängigkeit immer wieder im Thrill zu beweisen. Damit ist Gefahr verbunden. Die Objekte haben eine gefährliche Anziehung für den Philobaten, die er nicht wahrhaben will. So wird die Gefahr eher in den Geräten selbst gesehen, als darin, sich von ihnen trennen zu können. Und so sieht es auch der Oknophile, er sieht die Gefahr auch nie im Objekt, sondern in der Welt und glaubt, sie könne vermieden werden, wenn er sich nur fest genug an das Objekt klammert.

Der Mensch sieht sich in der frühen Kindheit damit konfrontiert, dass die Objekte ambivalente Züge annehmen, ja sogar aggressiv sind. Darauf gibt es diese beiden Reaktionsweisen, oknophile Anklammerung an die Objekte oder das Vertrauen in die freundlichen Weiten, in der der Philobat die Objekte als störend empfindet, wo er sich Skills aneignet, um mit ihnen fertig zu werden, wenn man ihnen nicht ausweichen kann. Objekte sind gleichsam Ausrüstung, die hilfreich sein soll.

Der Oknophile verleugnet das Getrenntsein vom Objekt, er entwickelt die Fähigkeit, innige Objektbeziehungen zu entwickeln und aufrechtzuerhalten – dies hat für den Philobaten höchstens zweitrangige Bedeutung.

Was ist nun gesünder? Sich ängstlich an die Liebeobjekte zu klammern? Die Angst zu haben, sie könnten sich ändern, sobald man den Kontakt verliert? Oder umgekehrt, die Objekte immer wieder fahrenzulassen im Vertrauen, dass man stets neue gewinnen kann, oder gar, dass man zu den alten zurückkehren kann und ihrer Zuwendung unverändert sicher sein darf?

Beide sind in ihrer Sichtweise nicht realistisch. Beide streben sie demselben entgegen. Das ozeanische Gefühl, der Flow, die freundlichen Weiten stehen symbolisch für die Ursituation, in Ur-Vertrauen Einssein mit dem Objekt. So sind die freundlichen Weiten dasselbe wie die furchterregenden Räume, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Sie bilden die Regressionsziele. Der Oknophile klammert sich an, je fester, um so geringer das Gefühl tatsächlich gehalten zu sein. Er bildet sich letztlich ein, das Objekt sei Teil seiner Selbst und könne es nicht mehr verlassen oder fallen gelassen werden, denn das wäre das Unglück erster Ordnung.

Der Philobat sieht die Objekte als getrennt von sich, die er entweder für sich erobert (aktive Liebe) oder vermeidet, dafür erlernt er Skills. Sie sind die Fähigkeit, sich mit der Realität auseinander zu setzen. Absolute Voraussetzung dafür ist die Erwerbung der Fähigkeit, dass man die Trauer auf sich nehmen kann, die entsteht, wenn man sich von den Objekten als getrennt erlebt.

“Die persönliche Geschicklichkeit ist die Quintessenz des Philobatismus: ohne Geschicklichkeit gibt es keinen Philobatismus. Das letzte Ziel des Philobaten ist indes, die Aufgabe so vollkommen und elegant zu meistern, daß das Können keine Anstrengung mehr verlangt. Nach Erlangen dieser höchsten Kunst kann sich die Wirklichkeit in eine Art Märchenland verwandeln, wo alles nach Wunsch geschieht und gar keine oder nur wenig Anstrengung vom Philobaten erfordert wird.” (Balint)

Um sich der Phantasie zu überlassen, dass in seinem Leben nichts geschehen kann, was nicht mit seiner Geschicklichkeit überwunden werden könnte, muss sich der Philobat einen erheblichen Grad persönlicher Fertigkeiten erwerben und seine Leistungen einer unablässigen, scharfen Realitätsprüfung und genauer Selbstkritik unterziehen. Die Progression geschieht um der Regression willen.

Rationale Welten erobert, in der der Flow erlebt werden konnte. Wenn meine Skills notwendig sind, die Anklammerung der Objekte verlassen. Und das verrückteste ist, den Skill innige Objektbeziehungen aufzubauen und Aufrecht zu erhalten zur Profession zu machen, und damit in die freundlichen Weiten aufsteigen können.
Und dann kam eine Erfahrung und damit eine Idee: immer diese freundlichen Weiten. Unbewusstes erkennt Unbewusstes unbeirrbar.

Andere sind genauso verletzt wie ich, aber sie sind einen anderen Weg gegangen, einen der mich angezieht wie ein Magnet. Objekte, die mich anziehen wie ein Magnet. Selbst nachdem Übertragungsbeziehungen verstanden sind, bleibt dennoch der oknophile Trieb, das Objekt haben zu wollen.

Das reflektiert weiss ich aber, dass es nicht mehr geht, selbst das Wünschen nicht. Mich überfällt dieser Verlust mit einer Trauer, die mein Herz zerreißt. Das Paradies gerade entdeckt, soll ich es wieder verlassen, weil nur die Trennung vom Objekt den freien Blick möglich macht.
Die Anklammerungswünsche müssen ausgehalten werden vom Objekt, zumindest zeitweise. Die Gegenwehr war für mich nicht sichtbar, nicht verständlich, gar nicht existent, weil es mein Weltbild störte, nicht passte. Vor allem waren da immer wieder Momente, in denen Nähe zugelassen wurde. Und in der Nähe hat der Philobat das Kunststück fertig gebracht, mich mit dem emotionalen Anteil der freundlichen Weiten zu infizieren. Körperlich er-fahr-bar, ohne Angst. In Abhängigkeit von jemand anders auf so einem philobatischem Gerät ohne Kontrolle zu sein. Und dann nicht nur die Abwesenheit von Angst zu erleben, sondern völlige Ruhe, Vertrauen. Die Schaffung eines Magneten, gleichsam die Schaffung eines sicheren Objektes in einer oknophilen Welt, ein inneres Bild von Ruhe.

Neben dem steten Ringen um Nähe und Vereinnahmung, Bezogenheit und Distanz, damit und daneben die Vermittlung von Skills, um in den freundlichen Weiten den Genuß des Augenblicks zu erlangen, auf dem Motorrad und in der Übertragung. Trennung vom Objekt wird möglich, weil die Verleugnung der Schädigung durch das Objekt nicht länger aufrecht erhalten werden kann und muss.

Und nun soll ich das hilfreiche philobatische Objekt loslassen, das hilfreiche Objekt aufgeben, um es als Gegenüber erleben zu können, was auch schon vorher passiert ist. Um mir eine neue Welt zu eröffnen: "Es macht leichter, lockerer-in jeder Hinsicht."

Das Objekt nicht aufgeben, nur die Anklammerung aufgeben, die Funktion aufgeben, die Fähigkeit erwerben, allein sein zu können, aber die Freiheit behalten, Intersubjektivität und Bezogenheit erleben zu können. Und auch die Fähigkeit innige Objektbeziehungen aufzubauen und zu halten, zu erhalten und zu erleben.

Sonntag, 4. September 2011

Philobat I

“Angstlust und Regression” gerade hinter mit gelassen. Balint schrieb1959 ein Buch, welches mich heute berührt und mir eine neue Sicht gewährt auf Erfahrungen und mich sehr erleichtert, weil es mich frei macht von pathologischen Beschreibungen. Das Finden von Worten bleibt mein Weg zu internalisieren, also werde ich jetzt versuchen zu übersetzen, was dieses Buch für mich bedeuten kann.
Es wird unterschieden zwischen Philobaten und Oknophilen. Die Welt des Philobaten besteht aus freundlichen Weiten, die mehr oder weniger dicht mit gefährlichen und unvorhersehbaren Objekten durchsetzt sind. Die oknophile Welt baut sich aus physischer Nähe und Berührung auf, die philobatische Welt aus sicherer Distanz und Fernsicht. Der Oknophile vertraut darauf, dass sein Objekt ihn gegen dir leere, unvertraute und möglicherweise gefährliche Welt beschützen werde. Der Philobat hat das Gefühl, dass er mit seiner Ausrüstung gewiß mit jeder Situation fertig werden könne und er werde wohl trügerische Objekte zu vermeiden wissen.
Die philobatischen Haltungen hängen mit der Trennung vom Objekt und mit dem Blick danach aus der Distanz zusammen, mag diese noch so klein sein. Die Haltung kann sich erst entwickeln, wenn gefühlsmäßig die Tatsache anerkannt worden ist, dass Subjekt und Objekt getrennt existieren, daß also beide auch ohne engen Kontakt miteinander weiterleben müssen und werden. Die Anerkennung der Tatsache, dass Leben, Zärtlichkeit und Güte auch dann moch möglich sind, wenn man entweder zeitweilig oder für immer vom Liebesobjekt getrennt ist. Erst nachdem dies emotional bejaht wurde, ist man fähig, dem Liebesobjekt zu erlauben, nunmehr seinen eigenen Weg zu gehen und ihm gegenüber “Rücksicht” oder gar “ Nachsicht” zu üben.
Während der Oknophile sich bei Gefahr zusammenkauert und sich an das vermeintlich beschützende Objekt klammert, bietet der Philobat der Gefahr die Stirn, um sie im Auge zu behalten, hält sich von Objekten fern, die falsche Sicherheit bieten, und steht aus eigener Kraft aufrecht da. Ihm ist nur seine Freiheit wichtig, und anscheinend kümmert er sich nicht sehr darum, ob er geliebt wird oder nicht, da er gewiß ist, daß er nötigenfalls die Liebe eines jeden Objektes erringen kann, wenn er will.
“Letztlich kann das wirkliche Ziel niemals durch Anklammerung erreicht werden. Es besteht ja darin, vom Objekt gehalten zu sein, und nicht, sich verzweifelt daran anzuklammern, dieses Gehaltensein sollte erfolgen, ohne daß man auch nur den Wunsch danach äußern muß.”