Mittwoch, 23. November 2011

Erotische Übertragungsbeziehungen bei Frühgestörten


Übertragung ist das unbewusste Zusammenspiel zweier Lebensgeschichten. Übertragungen können durch den psychischen Zwang zur Wiederholung in einer aktuellen Inszenierung zu einer traumatischen Inszenierung für einen oder für "BEIDE" werden. Was bei der Übertragung geschieht ist die “falsche Verknüpfung” von einem Beziehungswunsch an den Anderen, der eigentlich einer Person der Vergangenheit gilt…einerseits. Andererseits ist tatsächlich das "DU" als Anwesender gemeint.
Es liegt ein unbewußter Wunsch zugrunde, den jeweils anderen, das "DU" dazu zu bringen, das "ICH" zu lieben. Das bleibt nicht ohne Wirkung. Bleibt nie ohne Wirkung. Wozu ist dieser unbewußte Versuch gut? Was ist das Ziel?
Heilung! Wenn man so will: der Versuch, die Liebe zu befreien. Der verzerrte Versuch durch aktive Wiederholung ein Kindheitstrauma zu überwinden. Ein Mädchen muss sich in den Augen des Vaters attraktiv fühlen können und dürfen, damit später ein Vertrauen in die Weiblichkeit entwickelt werden kann. Wenn das Mädchen nicht gesehen worden ist, nicht mit Attraktivität, nicht mit Leistung…dann ist das der Beginn des Problems. Das muss das "ICH" immer wieder wiederholen, um aus dem Konflikt auszusteigen, dann ist es verführerisch. Aber nicht erfolgreich, fühlt sich nicht attraktiv und nicht gesehen. Dieses Trauma muss überwunden werden. Und wie soll das gehen?
Es muss zunächst ein basales Verstehen zwischen dem Unbewussten des "DU" und dem Unbewußten des "ICH" geben. "Unbewußtes erkennt Unbewußtes unbeirrbar". Wie das geht ist lebensgeschichtlich zu erklären, es macht eine gemeinsame Sprache möglich. Zwei Lebensgeschichten verbinden sich unbewußt durch ihre Entwicklung, wie Magnete werden "ICH" und "DU" magisch aufeinandergezogen, ohne bewusst zu verstehen, warum, die erotische Übertragung beginnt in der ersten Sekunde des Aufeinandertreffens.
Was NICHT die gewollte Heilung bringt in einer erotischen Übertragung ist folgendes:
Das Ausagieren der erotisierten Gefühle. DAS führt in die Dramatik. Das wäre wie der Bruch eines Inzesttabus, den der Vater an seiner Tochter begeht.
Ausagieren demontiert, vollkommen. Jede Behauptung das Demontieren im Ausagieren verhindern zu können ist eine Illusion, vor allem dann wenn ein "DU" der eindeutig Dominantere ist. Es herrscht bedingungsloses Vertrauen, das ist Teil der Übertragung und macht unendlich verletztlich.
Was auch nicht zur Heilung führt, ist den Kontakt abzubrechen, um so der Situation zu entgehen.
Zurück zur Frage, was denn nun tatsächlich hilft. Es ist ein Kunstgriff, der nur wenigen, selbst sehr erfahrenen Analytikern gelingt. Die erotische Übertragung annehmen. Und dabei ist zunächst unerheblich, ob die “Liebe” als Gegenübertragungsliebe entsteht oder ob sie eine direkte Gegenliebe ist oder ebenfalls eine Übetragungsliebe ist, die in der Geschichte des "DU" begründet ist.
Die Kunst liegt darin, die aufkommenden Spannungen, erotisierende Gefühle, Begehren, Wünsche…zu halten und sie sogar atmosphärisch empathisch mitzustimulieren. Sich darauf einzulassen, die Gefühle zuzulassen und ohne Hemmungen zu denken, was man sich selbst zunächst gar nicht vorstellen wollte und konnte. Angstfrei und freiwillig etwas benennen, wo das "DU" gut hätte verleugnen können.
Das fühlt sich auch wie ein Spiel der Macht an. Das "ICH" fühlt sich durchschaut und auch klein gemacht. Aber an der Stelle wird es zur Musterunterbrechung. Das "DU" muss das Begehren wahrnehmen und benennen. Das, was dem "ICH" zuvor nicht passiert ist, ohne dass es in der Folge missbraucht wurde. Nur zu leicht ist es für das "DU" zu verdrängen, vor allem wo es an etwas von ihm selbst rührt, das eigene bedrohliches Begehren. Damit, dass das "DU" das nicht tut, macht das "ICH" die Erfahrung, ungefährdet sexuell verführerisch und sexuell begehrenswert sein zu können. UNGEFÄHRDET!
Dazu ist es aber notwendig, sich berühren zu lassen, in Verbundenheit, für "BEIDE". Ohne Angst der Versuchung nachgeben zu müssen.
Die verwirrenden Gefühle müssen herausgearbeitet werden, benannt werden; auf "BEIDEN" Seiten.  In normalen gesellschaftlichen Bezügen würde man ja durchaus daraus folgern, dass es einem “Antrag” gleichkommt, intim werden zu wollen, wenn man über solche Gefühle spricht.
Das Aussprechen schafft ja bereits Intimität, der man gewöhnlich einen Korb verpasst.  Das nicht reale leben einer wie auch immer gearteten intimen Berührung führt dazu, dass es die Möglichkeit gibt, den evozierten Raum zu schaffen, der die Körperlichkeit möglich machen "könnte". Gleich den Ideen in Platons Höhlengleichnis. Damit wird der Verzicht auf direkte Körperlichkeit zum Gewinn eines evozierten Raums, der durch Körperlichkeit sofort zerstört würde und auch bei einer Verleugnung nicht auftauchen könnte. Der Verzicht von Körperlichkeit, der das Eintreten in die genitale Reife Stufe in Beziehungen überhaut erst möglich macht.
Die Einnahme einer exzentrischen Metaposition über "BEIDEN" ist die wichtigste Bedingung. Teil des heilsamen Prozesses ist das Reden über das Fühlen. Damit wird Triangulierung möglich, damit kommt das Dritte rein. Egal ob verbal oder non-verbal. In der Verständigung über Wünsche, Phantasien und Gefühle, um den Anderen damit zu erreichen, wird etwas Verbindendes geschaffen. Damit DASS "ICH" und "DU" reden wird gleichzeitig auch der Zustand der symbiotischen Verschmelzung beendet. Miteinander reden ist nur möglich bei deutlicher Getrenntheit. Damit dass das "DU" oder das "ICH" das Begehrliche, Phantasierte oder Evozierte ausspricht, damit wird eine Grenzverletzung verhindert, wird sozusagen das gesprochene Wort zum Gesetz.
Was wichtig ist, weil es das "ICH" und das "DU" davon trennt. Denn nicht das "ICH" oder das "DU" sind das Gesetz, welches “nein” sagt, sondern etwas Drittes.
Was dann entstehen kann, hat das Potential die die Angst vor dem alleine zu sein zu nehmen. Es gibt ein Gefühl von erfüllter Liebe und Wärme und Nähe, das ewige Sehnen nach dem mütterlich-paradiesischen Schoss hat ein Ende. Dazu muss die Übertragung aufgelöst werden, die Ent-wicklung der Ver-wicklung, die per projektiver Identifizierung in die Übertragung des Anderen reicht, in der das "DU" jeweils das "präödipale oder/und ödipale inzestuös gefährliche Objekt" ist, welches das jeweilige "ICH" zu vernichten droht.
Wenn das der Kern einer (Übertragungs-) Beziehung ist, dann braucht es die Sicherheit, dass das jeweilige "DU" nicht weggehen wird und das jeweilige "ICH" nicht vernichten wird. Beides nicht im Realen, sondern in der Übertragung.
Warum "inzestuös gefährliches Objekt"? Das inzestuöse Verlangen des Kindes zur Mutter, ist die Verlockung und der Wunsch zu verschmelzen und darin aufzugehen, sozusagen symbiotische Verschmelzung, von der Getrenntheit weg zur Einheit. Darin ist aber Entwicklung nicht möglich und deshalb müssen alle progressiven Wachstumsanteile zurück gestellt werden. Das ist für "BEIDE" gleichermaßen bedrohlich. Wenn das "ICH" nicht wächst, dann ist es tot. Das sind die Kognitionen auf Bewusstseinsebene, auf der unbewussten Ebene ist es die reaktualisierte Angst des Verschlungenwerdens durch die Mutter, die sich nicht abgrenzen kann und nur ihre eigenen Bedürfnisse realisiert und diese nicht zugunsten des Kindes zurückstecken kann. Und doch ist diese erste Lebenszeit in der Verschmelzung mit der Mutter, die, die das Fundament für alle späteren Liebebsbeziehungen bildet. Für Jungen und Mädchen gleichermaßen. Die erotische Übertragung ist das, was in diesen Zustand führt oder genau diesen Zustand zum Ziel hat. Es ist eine Objektsuche, die immer wieder eine präverbale Erinnerung inszeniert. Die erotische Übertragung signalisiert das Auftauchen des Wunsches, ein neues transformierendes Objekt zu finden, das intrapsychische Veränderungen ermöglichen wird. Jene innerpsychischen Konflikte aufzulösen, die depressiv ichbezogene Mütter im "ICH" und im "DU" gleichermaßen geschaffen haben.
Die Fähigkeit, zu lieben oder erotische Bindungen aufzubauen, ist jedoch kein Ziel, sondern ein Prozeß. Es gibt keine Position außerhalb des Erotischen, die Nähe zulassen würde. Jeder Versuch, das Erotische zu verstehen, ist an sich ein Akt erotischer Entwicklung: ein Akt der Liebe und Intimität auf den tiefsten Ebenen. Der regressive Sog, der von symbiotischen Verschmelzungsphantasien ausgeht, bringt uns dazu, etwas aus der Vergangenheit wiederzuentdecken und zu suchen, immer und immer wieder. In dieser Suche wird oft Sexualität mit Erotik dann verwechselt. Ohne zu finden, was man sucht, vielleicht für Sekundenbruchteile, aber nicht als gesättigtes Gefühl.

Die selbstbezognen Depression der Mutter führt zu einer massiven Verletzung des narzißtischen Omnipotenzgefühls des Säuglings, weil er nicht das Strahlen in den Augen der Mutter herbei führen kann, das er bräuchte, um die symbiotische Situation als Ausgangspunkt für späteres Wachstum zu erleben und nicht als dessen Bedrohung. So führt langer Augenkontakt, länger als die gesellschaftlich vertretbaren 5 Sekunden, zu sofortiger Reaktualisierung der frühen Sehnsucht, denn das früheste Mutter-Kind-Paar ist das einzige, das auch diesen langen Augenkontakt hält, in dem der Säugling gesunde narzißtische Spiegelung erfährt, oder eben nicht, wenn die Mutter, aus welchen Gründen auch immer, das nicht kann. Die Suche danach hört nie auf. Deshalb ist Blickkontakt gleichermaßen bedrohlich und reizvoll, deshalb verfällt man schnell in aggressive Abwehr. Dieses Gefühl ist scheinbar nicht zu ertragen, wenn es nicht in körperlicher Verschmelzung endet, die scheinbar das Äquivalent ist.
Mit Sexualität würden dem "ICH" und dem "DU" die Chance verbaut, daran zu wachsen, zu verinnerlichen. Denn es ist gerade die inzestuöse Grenze, die das Gefühl zu einem sicheren Gefühl macht. Und es ist in seiner Grunderscheinung völlig asexuell, nicht genital, eben nur erotisch.
Aber die Erotik wirft Licht auf die verborgensten Winkel der Psyche, auf selten bis nie betretene Pfade des Innenlebens. In der Beziehung zu jemand anders besteht das Wesen des Erotischen darin, diese beiden Menschen auf der intimsten und tiefsten Ebene aneinander zu binden. Daher ist die erotische Übertragung potentiell das einflußreichste und positivste Element in einem solchen Prozeß, den man nur therapeutisch nennen kann, wenn es nicht die ursprüngliche Mutter-Kind-Beziehung ist.
"In der glücklichen Liebe verbinden sich drei Elemente:(1) das Wiederfinden früher Liebesobjekte auf verschiedenen Ebenen (2) die Verbesserung gegenüber dem alten Objekt, weil man findet, was man nie hatte; (3) ein gewisser Grad an Spiegelung des Selbst im geliebten Anderen."

Und genau das bietet die erotische Übertragung an, ohne gebunden zu sein an verbindliche Beziehung, in der Freiheit. Wenn wir es dann schaffen, nicht zu agieren, dann gibt es die Chance auf heilsame Veränderung. Eben weil die erotischen Liebesstrebungen sublimiert werden können, läßt sich die Übertragungsliebe in den Dienst der auf Einsicht beruhenden Heilung stellen.

Sexualisierungsstrebungen dienen dabei eher dem Zweck narzisstischer Bedürfnisse und feindseliger Wünsche. Diese verhindern dann, dass die bedeutsamere erotische Phantasie, nämlich der (präödipale) Wunsch, mit allen Fehlern und Schwächen geliebt zu werden, zu Tage tritt. Der macht verletzlich. Und dieses Gefühl haben zu dürfen und zulassen zu können, was letztlich dem verbotenen inzestuösen Wunsch entspricht, das zu containen, im besten Falle gegenseitig, DAS ermöglicht gesunde Entwicklung und reifere innere Objektkonstanz, die dann narzißtisch weniger verwundbar macht.
Aber gerade in diesem symbiotischen Sog an die frühe mütterliche Spiegelung liegt eine Gefahr, die "BEIDE" zu vermeiden suchen, da er Angst macht. Vor allem aber der männliche Teil, da es der Verlust der Männlichkeit, ja ein scheinbarer Rückschritt auf die prägenitale Stufe ist. Nur ist es kein Rückschritt, sondern die Voraussetzung zum Eintritt in die genitale ödipale Situation, unter Verzicht auf narzißtische Omnipotenzgefühle.

Eine erotische Übertragung ist der Ausdruck eines Wachstumswillens, der mit Versäumnissen der ersten Jahre zusammen hängt, doch zumeist verkannt wird und dann das Trauma vergrößert und die Chance auf Heilung verkleinert, wenn es zum Agieren oder Flüchten kommt.