Mittwoch, 6. Juli 2011

Übertragungsliebe in der Analyse

Die psychoanalytische Behandlung ist der "Versuch, verdrängte Liebe zu befreien!" (Freud 1907)
Die Behandlung scheitert, wenn das unbewusst geliebene Zusammenspiel zweier Lebensgeschichten in einer aktuellen Inszenierung das traumatische Geschehen zur Wiederholung zwingt. Welche Elemente beider Biographien lösen die Dynamik dieses Zusammenspiels aus?
Freud schreibt in der nachträglichen Reflexion über die Liebesbeweise seiner Patientin diese nicht der Unwiderstehlichkeit seiner Person zu, sonder er "entwickelte die Vorstellung, dass die Gefühle und Wünsche dieser Patientin wahr und falsch zugleich sein könnten: Einerseits galten sie ihm, dem anwesenden Manne, andererseits waren es 'falsche Verknüpfungen', die den Beziehungswunsch mit ihm statt mit einer anderen Person aus der Vergangenheit der Patientin in Verbindung brachte".

Freud trifft die Unterscheidung zwischen "falscher Verknüpfung" und " unanstössiger Übertragung", zwischen neurotischer und nicht-neurotischer Übetragung "aus Gründen der therapeutischen Zweckmässigkeit in defensiver Absicht. Der Nutzen dieser Unterscheidung lag zunächst darin, daß er die intensive Arbeit und persönliche Beteiligung des Analytikers in der von infantilen, neurotischen Wünschen und Phantasien geprägten Übertragungsbeziehung erlaubt, weil sie daneben die Sicherheit einer relativ unneurotischen Beziehung bietet.  Die unanstössige Beziehung ist eine Bedingung dafür, dass die Neurose im Feuer der Übertragung 'schmelzen' kann, weil sie sicherstellt, daß dieser Brand auf ein Nutzfeuer begrenzt bleibt."

Es gibt Frauen, die jeden Widerstand aufheben, wenn man sie nackt sieht. Vielleicht ist das Preisgeben des Inneren eine psychische Exhibition, die einer völligen Hingabe gleich kommt. Erst die Liebe macht es ihnen möglich, sich in dieser Entblößung zu zeigen und die Entblößung zwingt sie, uns zu lieben. Und hinter ihrer Liebe lauert die Erwartung einer Gegenliebe. Von sexuellen Dingen zu reden ist "eine Realität im Sinne von psychischer Realität, diese Realität ist eine Verführung; von der Verführung zu reden, ist eine Verführung". (Neyrauth, 1976)

Die Patientin "hat von ihm (dem Analytiker) die Überwindung des Lustprinzips zu lernen, den Verzicht auf eine naheliegende, aber sozial nicht eingeordnete Befriedigung zugunsten einer entfernteren, vielleicht überhaupt unsicheren, aber psychologisch wie sozial untadeligen".

In der Übertragungsneurose verspürt der Analysand erotisch-sexuelle Wünsche gegenüber dem Anderen, dem Analytiker, und muss lernen, dass man den Anderen trotzdem oder gerade dadurch so nahe kommen kann, dass man sich eingesteht und auf die körperliche Verwirklichung verzichtet. "Wenn einer der nach Liebe greift, dabei immer nur Geschlechtsteile in die Hand bekommt, so ist das zwar für ihn charakteristisch, nicht aber für die Liebe."

In der Übertragung festigt sich der Ur-Wunsch des Patienten, ohne Bedingung geliebt zu werden. Für ihn ist die Ur-Form der Liebe so zentral, dass der Narzissmus nur ein Umweg ist, um von sich selbst das zu erhalten, was in früherer Zeit vermißt worden war.

Blum (1973) diagnostiziert bei diesen Patientinnen narzisstische und präödipale Aspekte hinter der ödipalen Fassade, vertritt aber die Ansicht, dass die erotisierte Übertragung durchaus Teil einer analysierbaren Übertragungsneurose sei, weil sie als verzerrter Versuch gesehen werden muss, ein Kindheitstrauma durch aktive Wiederholung zu überwinden.
Manchmal könnten die unbewussten Bedürfnisse des Analytikers zu einer Mesalliance mit dem Patienten führen, wo die erotischen Begierden des Patienten durch das verführerische Verhalten des Analytikers hervorgerufen werden.

 Die Grundannahme besteht darin, daß das Unbewußte des Analytikers das Unbewußte des Patienten versteht. Dieser Rapport in einer tiefen Schicht kommt in Form von Gefühlen an die Oberfläche, die der Analytiker in Antwort auf seine Patienten wahrnimmt, in seiner 'Gegenübertragung'.

Die technische Kunst des Analytikers liegt nun darin, die lustvollen Spannungen in sich nicht nur anklingen zu lassen, sondern sich anhaltend stimulieren zu lassen und atmosphärisch empatisch mitzustimulieren. Das setzt beim Analytiker die relativ angstfreie und freiwillige Aufhebung des Inzesttabus voraus, bei gleichzeitig aktivem nicht normativem Lustverzicht.

Nimmt der Analytiker die Übertragung voll an, so muß er sich auch in die Vorstellung hineinversetzen können, Liebhaber seines Patienten zu sein. Vorurteilsfrei und unbefangen sollte er in der Lage sein, ohne Hemmungen etwas zu denken, was das Inzest-Tabu der Menschheit zu denken- und erst recht zu tun- verboten hat. Er muss fähig sein zu denken, was die Abstinenz ihm zu tun verbietet, weil es die analytischen Erfordernisse gebieten.

Freud: "Jede psychoanalytische Behandlung ist ein Versuch, die Liebe zu befreien."
Hierbei ist es nicht unerheblich, ob die Überetragung des Patienten eine Gegenübertragung beim Analytiker auslöst und ob die Liebe des Patienten direkt die Gegenliebe des Analytikers weckt, ob sich das emotionale "Angebot des Analytikers" im " Echo des Analysanden " bricht.
Eine Frau sucht in Hoffnung auf Heilung von ihren Symptomen einen Psychoanalytiker auf, mit dem unbewußten Wunsch, ihn dazu zu verführen, sie bedingungslos zu lieben.

Der Analytiker weiss, dass er in seinem Begehren, Analytiker zu sein, versuchen wird, die Analysandin zu verführen, ihre Liebe hervorzulocken, sie zur Liebe geradezu zu zwingen. Doch bevor sie einander wirklich begegnen können, müssen beide die "einst frisch gedeckten Tische ihrer Kindheit" verlassen. Es genügt nicht, dass der Analytiker als verspäteter Gast am Tisch der Analysandin Platz nimmt; es kann sein, dass die Spuren der Gäste am Tisch der einen, die dort "gegessen, gefressen, gewütet, gefastet, verachtet, verschlungen, gestohlen und getrunken haben", auf die Zeichen eines verwühlten Liebesnestes des anderen treffen, wo "geschmust und gestreichelt, umarmt, geküßt, verführt und geliebt, geschlagen und gequält, ausgebeutet und benutzt, beherrscht und vergewaltigt, sexuell erregt und sexuell begehrt" wird. Möglicherweise entsteht dann das, was Ferenczi die Sprachverwirrung zwischen dem Erwachsenen und dem Kind nennt: der Dialog entgleist, und der Diskurs der Liebe kann gar nicht erst beginnen. Wenn die beiden sich begegnen wollen, dann müssen sie sich von den vertrauten Plätzen erheben und sich gemeinsam zu unbekannten Orten aufmachen, nachdem sie festgelegt haben, in welchem Rahmen das vor sich gehen soll.

In dieser Sichtweise ist gut zu erkennen, daß die Patientin in ihrer Übertragungsverliebtheit auf infantile Erlebnisse und Konflikte zurückgreift, aber wir erfassen weniger gut, daß die Patientin gleichzeitig als erwachsene Frau unübersehbar einen ernstgemeinten, der realen Person ihres Analytikers geltenden Beziehungsversuch unternimmt. So sehr ihre Libido zurück-fluten mag, so sehr meint sie doch ihn und keinen anderen.

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