Freitag, 7. August 2009

Narzissmus

In einem der hilfreichen Bücher, die ich entdeckt habe ist das Märchen vom Prinzen im Eisenofen als Bild, als Symbolträger benannt.
„Ein Königssohn wird von einer alten Hexe verwünscht, im Wald in einem Eisenofen zu sitzen. Nach vielen Jahren kommt eine Königstochter vorbei, die sich verirrt hat. Er schickt ihr jemand mit, der sie schweigend nach Hause führt. Dafür soll sie mit einem Messer wiederkommen, ihn befreien und heiraten. Stattdessen schicken sie und ihr Vater die schöne Müllerstochter, dann die noch schönere Schweinehirtentochter hin. Beide schaben 24 Stunden erfolglos und verraten sich dann. Unter Drohung muss die Prinzessin doch selbst kommen und ihn befreien. Er gefällt ihr, doch sie bittet sich aus, nochmal zu ihrem Vater zu dürfen, was er ihr gewährt, wenn sie nur drei Worte spricht. Weil sie aber mehr spricht, wird der Eisenofen weggerückt. Auf ihrer Suche kommt sie zu einem alten Häuschen mit kleinen dicken Kröten. Die alte Kröte gibt ihr drei Nadeln, drei Nüsse und ein Pflugrad. Damit überwindet sie einen gläsernen Berg, drei schneidende Schwerter und reißendes Wasser und lässt sich im Schloss des Prinzen als Magd anstellen. Sie erhandelt sich von seiner neuen Braut dreimal die Erlaubnis, in seiner Kammer zu schlafen im Tausch gegen die schönen Kleider aus den drei Nüssen. Zweimal erfährt er nur von den Dienern von ihrem nächtlichen Jammern, so dass er beim dritten Mal den Schlaftrunk nicht nimmt und mit ihr flieht. Das Haus mit den Kröten ist zu einem Schloss geworden mit Kindern. Sie heiraten und nehmen auch den einsamen Vater zu sich.“
http://www.grimmstories.com/de/grimm_maerchen/der_eisenofen
Hier ist das Märchen vom Prinzen im Eisenofen nachzulesen, wenn es denn in seiner Vollständigkeit gelesen sein muss, um die die Bildersprache zu verstehen. Die Bildersprache ermöglicht vor allem über etwas zu sprechen, ohne dass man es gleich auf sich selbst beziehen muss. Sie sind ideale Projektionsflächen auf denen sich emotionale Probleme, wie auf einem Bildschirm abbilden lassen. Die Distanz erleichtert oftmals Verstehen, das dann im nächsten Schritt die Selbstbezogenheit möglich macht. 

Märchen, Träume oder Bilder in der tiefenpsychologischen Betrachtung haben immer zwei Ebenen. Zum einen die intrapersonelle, als auch die interpersonelle. 
In einer intrapersonellen Betrachtung sind ALLE Teile und Personen, die in einem Märchen, Traum, Bild oder ähnlichem vorkommen, als Teile des eigenen Selbst zu verstehen. Auf der anderen Ebene werden die Anteile als interpersonelle gesehen. Das ist zum einen wichtig, um so etwas wie Gegenübertragung zu verstehen, und auch um das Phänomen der Passung zu verstehen.


Was ist der Anfang? Der Hintergrund ist eine narzisstische Verwundung, die in der frühen Kindheit stattfindet. Wobei EINE nicht heißt, dass es sich zwingend um ein singuläres Ereignis handelt. Die Kumulation von vielen, für sich alleine vielleicht unschädlichen Ereignissen, kann die Verwundung ebenfalls bewirken. Das Kind lernt Fühlen und Empfinden dadurch, dass es gespiegelt wird. Findet diese Spiegelung aber nicht statt, dann führt das zum Erleben emotionaler Verlassenheit. Diese Verlassenheitsgefühle werden dann immer wieder neu ausgelöst, wenn keine adäquate Spiegelung erfolgt. Ein Gespräch abrupt abzuwürgen mit der Bemerkung „das kenne ich“, das sind solche Enteignungen, fehlenden Spiegelungen, in denen Gefühle des Anderen nicht ernst genommen werden.
Wenn man nicht gleich beantwortet wird, dann ist man schell dabei die Frage zurückzunehmen. Weil es in Frage stellt, weil es so schwer ist, fehlende Spiegelung auszuhalten. Genau so schwer ist für Andere auszuhalten, keine Antwort zu erhalten. Das löst Selbstzweifel und Selbstentwertung aus, negative Ideen davon, woran das liegen könnte und das hat im Grunde nichts mit dem Gegenüber als Person zu tun.

Die narzisstische Verwundung entsteht vor allem in der magischen Phase „Zur Zeit, wo das Wünschen noch geholfen hat“. Wo sich in einer normalen Phase der Grandiosität Realität, Phantasie und Traum noch vermischen. Diese Phase wird dann viel zu schnell und oft viel zu hart beendet mit einer Erziehung, die darauf abzielt, die Realität in den Mittelpunkt zu stellen. Die Kreativität wird radikal durch Logik, Vernunft und Konsequenz ersetzt. Im Märchen steht, dass die Hexe (die hier für die negativen (Selbst-)Anteile der Mutter steht) den Königssohn in den Eisenofen hinein verwünscht. Dieser Ausdruck ist wörtlich zu nehmen, denn die Mutter (besser der dunkle, gestörte Teil der Mutter) wünscht sich etwas Falsches. 

Mit dem dicken Eisenpanzer werden die Gefühle eingesperrt und festgehalten, sie stehen einer Welt der Vernunft störend gegenüber.
Ein Kind lernt sich selbst zu lieben, wenn es von der Mutter adäquat geliebt wird. Passiert das nicht, zieht sich das Kind in seine innere Welt zurück, um sich vor einer grauen, ängstigenden oder gar harten Welt zu schützen. Mütter, Eltern, die sich selbst nicht mögen, können ihr Kind nur unzureichend spiegeln, sie können nicht zum Ausdruck bringen, dass es willkommen und gut ist, und zwar genau so, wie es ist. 

Oft sind die Manipulationen aber auch so subtil, dass von außen Betrachtende eine besonders gute Mutter sehen. Immer aber will eine solche Mutter ein Kind haben, das ihren eigenen Vorstellungen entspricht. Was sich beim Kind entwickelt ist ein grandioses Selbst. Die Identifikation findet mit dem eigenen Idealbild statt, um auf die Weise Unabhängigkeit von der Bewertung durch andere herzustellen. Was wir an negativen Anteilen haben, die nicht in dieses Ideal passen, werden verdrängt oder in andere projiziert, wo wir sie dann bekämpfen können, wo wir sie entwerten können. Im Gegenteil dazu wird alles, was dieses grandiose Selbstgefühl unterstützt, fördert und bestätigt, begrüßt und idealisiert.

Die Abwertung der Anderen ist etwas, wobei man sich immer wieder ertappt. Zwar weiß man die Abwertungen in seinen Aussagen zu kontrollieren, aber sie sind da. Wenn man verlangt, dass andere etwas tun müssen, damit sie etwas erreichen. Wenn es wütend macht, dass Menschen sich in gemachte Nester setzen und dann damit prahlen, als wäre es auf deren eigener Arbeit gewachsen. Oder wenn man empfiehlt, die Komfortzone zu verlassen und man hart sagt:“ wenn du ein Anstrebungsziel hast, dann kannst du auch was verändern.“ Ja, aber dabei geht ja völlig aus dem Blick, warum dieser Mensch in dieser Haltung ist. Klar ist das nicht wichtig für das Erreichen eines Zieles. Der Blick zurück ist da nicht hilfreich. Und doch… für die, die es eben nicht schaffen, sich selbst aus dem Sumpf zu ziehen, ist es wichtig sie dort abzuholen, wo sie sind. Das sind nicht deren Anstrebungsziele, sondern ein Punkt in der Vergangenheit, an dem sie aufgehört haben, für sich zu kämpfen, wo sie sich und ihre Wünsche aufgegeben haben, den Kampf nicht aufgenommen haben.

Die Identifikation mit dem eigenen Idealbild, das nicht an der Realität geprüft ist, weil es gerade darum geht, dass man nicht von der äußeren Welt abhängig ist führt, zu einer Schein-Unabhängigkeit. Der Schmerz darüber, nicht zu bekommen, was man sich doch so sehnlichst wünscht, führt zu weiterer Abkapselung, so dass man ihn irgendwann gar nicht mehr spürt. Weil man von seinen Eltern nicht bekommt, was man braucht, versucht man es mit Autonomie zu erreichen. 

An sich ist der Ofen im Märchen ja eigentlich etwas wärmendes, wenn auch hier kalt und sogar durch das Metall Wärme entziehend, wenn man die Hand dranlegt. Aber der Ofen, der in den Wald verbannt wird, kann dort nichts wärmen. Es bleibt der brennende Wunsch nach Liebe und Wärme. Also sind wir gezwungen, die früh vermißte Liebe in hoffnungslos übersteigerter Weise immer wieder zu suchen.
Eine weitere Belastung kommt für das Kind hinzu. Es spürt deutlich, dass die Mutter, die Eltern selbst sehr bedürftig sind, versucht mit allen Mitteln ihnen zu helfen. Mit dem Ziel, DIE Mutter zu bekommen, die einen spiegelt, dass man so willkommen ist, wie man eben ist. Nur zu leicht passiert an dieser Stelle, dass man hierfür sein wahres Selbst opfern muss, gezwungen ist, ein falsches Spiel zu betreiben. 

Es entsteht das tief verletzende Gefühl, dass man nur wegen der erbrachten Leistung geliebt wird. ABER…da wird dem Kind das Gefühl vermittelt, dass es gebraucht wird, dass es etwas wert ist. Nur zu leicht wird später das Gefühl beim Erfahren der Anerkennung verwechselt mit Liebe. Damit ist der Weg gebahnt: MIT LEISTUNG WERDEN WIR VERSUCHEN; DIE LEERE DER NICHT ERFAHRENEN LIEBE ZU FÜLLEN. Perfektionismus wird als Mittel eingesetzt, um andere vom eigenen Wert zu überzeugen. Damit gehorchen wir den Vorgaben der Eltern, leider aber behält die Dynamik noch lange ihre Kraft, selbst dann, wenn man sich radikal von seinen Eltern und der Familie abschneidet.


Im Menschen ist eine Art inneres Gefäß, in dem alles, was er an Zuneigung, Aufmerksamkeit und Sympathie geschenkt bekommen hat, gelagert werden kann. Ist dieses Gefäß in der Kindheit gefüllt worden, ist das Kind satt geworden an gut abgestimmter Zuwendung, dann entwickelt sich Urvertrauen, dann entwickelt sich ein gutes Selbstwertgefühl. Das sind die guten inneren Bilder, die internalisierten (Selbst-) Obejektrepräsentanzen, auf die man immer wieder zurückgreifen kann, wenn man sein Selbst bedroht sieht. Anders bei Menschen, die das nicht erfahren haben. 

Der Panzer ist durchlöchert, das Gefäß läuft immer wieder aus und muss unentwegt neu gefüllt werden: mit Bewunderung, Anerkennung und Liebesbeweisen durch Andere. Erfolge können nicht genossen werden, sie verstärken die Sehnsucht nach mehr.

„Die Energie dieser Menschen ist nicht selten extrem, und sie leistet häufig Beachtliches. Besonders versuchen sie, Macht zu erlangen, mit dem Ziel, die starke Angst vor Verletzungen zu besiegen. Sie sind häufig über weite Strecken äußerst diszipliniert und selbstbeherrscht, um sich vor Demütigung zu schützen.“ 

Jede erneute Kränkung wird als ein Anschlag auf die Existenz erlebt. Die Wunde, nicht um seiner selbst willen geliebt zu worden zu sein, ist immer noch offen und macht extrem verletzlich. Das macht es, in der Theorie zumindest extrem schwierig, sich in Andere einzufühlen und mitzuschwingen. In der Praxis glaube ich im Gegenteil, dass gerade das, was man in der Kindheit erlebt hat, dazu befähigt, sich in andere einzufühlen. Das ist eine Überlebensstrategie, die eben dafür sorgt, dass man keine Persönlichkeitsstörung bekommt mit den komorbiden Krankheitsbildern wie Sucht oder anderes. 

Schon als kleines Kind hat man lernen müssen, nonverbal, intuitiv einzuschätzen, wie es denn heute, in dieser Sekunde wieder ist mit seiner Mutter. Wie der Pegel steht und in welchem ihrer Zustände sie grad mal wieder ist, um ja das richtige zu tun.
Aus dem Kampf gegen die Nichtanerkennung einen Weg finden. „Ich möchte so mit mir reden, dass es mir hilft!“ Ja, wenn die Eltern das nicht getan haben, dann ist das eine sehr gute Lösung, um nicht unter zu gehen in den Verletzungen. Das ist im Grunde genial, da ist Intelligenz meines Erachtens ein riesiger protektiver Faktor. Aus der Resilienzforschung geht das so klar hervor.

Heikles Weiterthema, die Beziehung. Die tiefe Programmierung des narzisstisch strukturierten lautet: Ich muß viel tun, um geliebt zu werden. Partnerschaften finden sich, wie bei jeder Struktur, nach dem Schlüssel-Schloß-Prinzip. „Mit traumwandlerischer Sicherheit finden sich Partner, die scheinbar entgegengesetzte Probleme haben. Der Königssohn im Eisenofen hat das Problem, sich nicht wirklich im positiven Sinne abhängig machen zu können. Die tiefe Verletzung, die nicht heilen konnte, läßt ihn auf Distanz bleiben. Er kann, so die Szene im Märchen, lediglich aus dem Ofen herausrufen, er kann sich so allerdings um das Problem der Prinzessin kümmern. Der stumme Begleiter, den der Königssohn der Königstochter mit gibt, damit er sie aus dem Wald hinausbegleitet, muß als ein Teil von ihm verstanden werden.“ Typisch für tief Verletzte ist, dass sie sich sowieso lieber um die Probleme anderer kümmern, als um ihre eigenen. Damit lenkt man gut von seinen eigenen Schwierigkeiten ab und erzeugt ein Gefühl der Überlegenheit und besonderer Bedeutung. Nein? Doch, wenn man ehrlich ist schon. 

Die Königstochter, wie zufällig wandert sie durch den Wald. Von der Mutter ist keine Rede, nur von ihrem Vater, dem König, er ist die wichtige Person. Die Königstochter spielt auch für ihn die wichtige Rolle, ist Partnerersatz. Damit dass die Mutter fehlt, fehlt das Vorbild zur Entwicklung der Weiblichkeit: die Mutter hätte ihr zeigen müssen, was es heißt, eine erwachsene Frau zu sein, die selbstständig leben kann. (Im Hintergrund immer, dass es sich um intra- und interpersonelle Anteile handelt. Die Königstochter als der weibliche Anteil in einem drin, das Yin sozusagen und aber auch in Bezug auf Beziehungen, welcher Art auch immer im Äußeren.) 

Die Königstochter erlebt so viel zu früh, die Sorgen und Nöte der Erwachsenen. Aber sie erfährt auch, dass sie gebraucht wird, fühlt sich aufgewertet und in gewisser Weise mächtig dadurch. Damit wird das Selbstwertgefühl aber in erheblicher Weise geprägt: ich bin nur dann wertvoll, wenn ich mich um die Sorgen und Nöte der Anderen kümmere. Damit verursacht jede Form der Autonomie, die Distanz von den Eltern schaffen würde, Schuldgefühle. 

„Zwei Menschen ziehen sich magisch an. Der Königssohn im Eisenofen hat das Problem, sich nicht wirklich auf eine Beziehung einlassen zu können. Der starke Eisenpanzer verhindert Nähe und positive Abhängigkeit. Der Eisenofen-Mensch ist unfähig, sich in andere Menschen hinein zu fühlen, sich wirklich auf sie einzulassen. Es ist seine extreme Verletzlichkeit, seine Angst vor (erneuter) Kränkung, die ihn auf Distanz bleiben läßt. Die unbewusste innere Entscheidung, nie mehr in einer Beziehung verletzt zu werden, verursacht durch die panische Angst vor Nähe. Das kleine Kind, das einmal auf die glühende Herdplatte fasste, bleibt dieser zukünftig mit großem Respekt fern. Viel tiefer und viel grausamer ist die Verletzung, die der Königssohn im Eisenofen erleben mußte.
Die Prinzessin hat das umgekehrte Problem. Sie ist unfähig, ohne Beziehung zu sein. Ihr tiefes Lebensskript lautet: ich muß mich immer um andere kümmern, damit ich mich wohl fühlen kann. Das Dilemma der Prinzessin ist darin zu sehen, dass sie Distanz nicht ertragen kann. Sie fühlt sich nur sicher, wenn sie sich möglichst eng gebunden weiß.“ (oder im übertragenen Sinne wenigstens einen kleinen Körperkontakt spürt, der unendliche Sicherheit vermittelt) 

Zwei Menschen mit entgegengesetzten Problemen: der eine, der seine Gefühle nicht äußern kann, die andere die ihre Gefühle nicht zurückzuhalten vermag. Ihre Gefühle sind nicht eingepanzert wie beim Königssohn, aber auch ihr fehlen wesentliche Fähigkeiten einer reifen, autonomen Persönlichkeit. Sie kann sich nicht abgrenzen, kann nicht nein sagen und ihr eigenes Königreich aufbauen, was bedeuten würde, Unabhängigkeit zu entwickeln. Wut und Haß sind Gefühle, die die Prinzessin nicht haben darf. 
Das Gegenüber, der Partner, der so gegensätzlich ist, ist der Spiegel für die ungelebte Seite von uns selbst, die wir eigentlich auch verstärkt leben sollten, vor der wir uns aber fürchten und die wir unbewußt, quasi stellvertretend durch den Anderen leben lassen oder zumindest spüren wollen. Weil wir uns fürchten davor, so zu sein, wollen wir den Anderen ändern. 

Der Apell an den Anderen, dass er sich ändere, damit es einem selber gut gehe, der ist doch genau derselbe, den unsere Eltern an uns gestellt haben: Sei so, wie ich dich haben will, damit es mir gutgeht. Damit ist aber auf beiden Seiten der Entwicklung zur Selbstständigkeit und Autonomie die Basis entzogen. Die Abhängigkeit vom Elternteil wird so zur Abhängigkeit vom Partner. Die Lösung besteht darin, die Spiegelfunktion des Gegenübers ernst zu nehmen und zu erkennen welche Bereiche bei einem Selbst unterentwickelt sind.

„Der Mensch im Eisenofen ist überlegen, weiß Bescheid, sein harter Panzer hat ihm den Überlebenskampf in einer ängstigenden und bedrohlichen Welt ermöglicht. Dies imponiert der Prinzessin-Frau, da ihr genau dies fehlt.
Der Eisenofen-Mensch fühlt sich magisch angezogen von einer Frau, die fähig ist, tiefe Gefühle zu zeigen. So kann sie zum Beispiel traurig sein und weinen, etwas, was der Mensch im Eisenofen schon lange nicht mehr vermag…hinter der großartigen Fassade ist er selbst erschreckend klein und verletzlich. Traumwandlerisch finden sich Menschen, die ihre Kindheitstragödien miteinander vermischen.“

Es „funkt“ dann, die Passung ist einfach da. Die Projektionen von tiefen idealisierten Bedürfnissen nach Auffüllen der inneren Leere können natürlich nicht erfüllt werden, was nach der tiefen Entwertung, die dann folgt, die Suche von vorne beginnen lassen würde. Der Andere soll zum Retter werden, was dem Anderen narzisstischen Gewinn bringt, in der Form der erfahren Bewunderung. 

Das Märchen ist ja nicht zu Ende an der Stelle, sie leben nicht glücklich und froh bis an ihr Lebensende. Etwas ist aber klar geworden: der Königssohn glimmert in Gold und Edelsteinen, ein Mensch, der wunderschön ist, durch den Zauber der Hexe nicht verändert. Der tiefste Kern der Persönlichkeit wurde nicht verletzt; eine tröstliche Aussage. Der Weg aus dem Gefängnis ist nicht, die Erlösung in den Armen eines anderen Menschen zu finden, aber! sich auf die Nähe, Liebe, das Vertrauen einzulassen, setzt erst den nötigen Prozess in Gang.
Um sich von seinen Eltern zu lösen, muss man satt geworden sein. Satt und zufrieden in dem Sinne, dass man sich der unbedingten Liebe seiner Eltern gewiß sein konnte. Kinder, die nicht satt geworden sind, werden in der Liebe scheitern. Sie können den Anderen nicht als eigenständig akzeptieren. 

Angst vor Liebesverlust, Eifersucht, extreme Verletzlichkeit und verdeckte Selbstzweifel lassen Beziehungen mißlingen. Der gekränkte Königssohn, der maßlos enttäuscht ist, flieht hinter Glasberge, die Härte und Kälte ausstrahlen. Damit fangen die Schwierigkeiten erst an. Die Forderung des Königssohns, dass die Prinzessin nur drei Worte sprechen darf, macht den gigantischen Besitzanspruch deutlich, den der Mensch im Eisenofen hat. Es ist eifersüchtig auf den Vater, mit dem die Prinzessin sich eng verbunden fühlt. Wenn der Mensch im Eisenofen im unmittelbaren Gegenüber mit der Geliebten den Eisenofen verlassen kann, dann muss er sofort befürchten, dass die alten Gefühle wiederbelebt werden. Flüchtet wieder in sein selbst gewähltes Gefängnis, um seiner Verletzlichkeit nicht willkürlich ausgeliefert zu sein. Das selbst gewählte Gefängnis der Einsamkeit ist sicherer und weniger schmerzhaft als das wunderbare Gefühl von Nähe, Vertrautheit und Liebe. 
Zum Lebensmotto wird dann nicht nur „ich brauche niemanden“, sondern „ich werde alles tun, damit dies auch so bleibt.“
Im Märchen macht sich die Prinzessin auf die Suche nach dem verlorenen Geliebten, es ist der Teil des narzißtischen Menschen, der sich auf die Suche nach seiner Liebesfähigkeit macht. Sie nimmt alle Mühen auf sich, scheut keine Gefahr und doch macht ihr Verhalten irgendwie einen kindlichen Eindruck. Wie kann man nur, so möchte man fragen, seine eigene Persönlichkeit so vollkommen aufgeben? Wer tut so etwas? Kleine Kinder! Sie tun einfach alles, um die Liebe des Vaters oder der Mutter zu gewinnen, überhaupt Liebe zu gewinnen. Notfalls stellen sie sich selbst und ihre Bedürfnisse zurück, um den Erwartungen der Eltern gerecht zu werden. So bleibt die Prinzessin kindlich, sucht die Abhängigkeit und glaubt, ohne diese nicht leben zu können. In ihrem Verhalten erkennt man eine Form der Abhängigkeit, die nur zu oft verwechselt wird mit reifer, partnerschaftlicher Liebe.

Nur die Frage: „Wer bin ich wirklich?“ führt weiter. Die Suchwanderung der Königstochter ist ein Bild dafür. Die Suche nach sich selbst braucht viel Anstrengung und einen enorm hohen Einsatz. Die Königstochter beginnt ihre Suche erst in der größten Not, oft ist es so, dass Menschen erst zu einer Veränderung bereit sind, wenn es ihnen sehr schlecht geht. So wie es auch ganz deutlich ist bei den Suchterkrankten, erst wenn sie ganz am Boden sind und keine Hilfe mehr ihr Leiden verlängert, dann erst bekommen sie die Chance, in ihrer Not neu zu beginnen, manche ergreifen sie dann.
Aber auch die Eisenofenmenschen tun sich schwer dazu zu kommen, dass sie Hilfe brauchen, das Motto ist allzu oft, es alleine zu schaffen. Sich in Abhängigkeit zu begeben heißt schließlich, sich verwundbar zu machen, Erniedrigung erfahren zu müssen oder Beschämung.
„Jemand, der hinter Zuneigung und Liebe herläuft, wird sich wegen dieses Verhaltens hassen. Ausserdem wird er letztlich nicht glauben können, dass die Zuneigung, die er erfährt, ihm selbst gehört, er bekommt sie lediglich dafür, dass er etwas Wichtiges für andere getan hat.“
Die völlige Verzweiflung der Königstochter mit dieser existentiellen Angst führen zur Kapitulation, die Situation muss ausgehalten werden „…auf dem Weg aber betete sie“. Sie unterwirft sich dem Leben, so wie es ist und ist dann bereit, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind, und dann begegnet sie den häßlichen Kröten.
Aber was will man denn in seinem Leben mit diesen häßlichen Kröten, wozu braucht man die denn? Was bringt es mir denn, sich mit denen abzugeben, sie anzuschauen, sie ernst zu nehmen? Sie passen nicht in das Bild, das sie gerne von sich hätte und auch nicht in das Bild, das Andere gerne von ihr hätten. Diese Kröten sind die Verletzungen, die Trauma, die für Wunden sorgen, immer verbunden mit der Angst, dass es weitere Beschämungen und Verletzungen geben könnte. Aber die Königstochter nimmt sich der Kröten an, sie ißt mit ihnen und verbringt gar die Nacht in ihrem Haus.


Kritik wird vernichtend erlebt, so als wäre die gesamte Person entwertet oder niedergemacht. Kritik als wohl gemeintes Interesse kann nicht verstanden werden. Die Nadeln, die man zum Überqueren der Glasberge braucht, weil die glatte äußere Fassade überwunden werden muss, sind die Kränkungen, die man bewusst in Kauf nehmen muss, um an die wahre Person zu kommen. Dazu gehört ein Risiko, das in manchen Konstellationen nicht ungefährlich ist, für beide Seiten im interpersonellen Prozess. Die Nadeln sind notwendig, um die verdrängten Gefühle wieder zu spüren, die zuvor abgetrennt worden sind und verdrängt worden waren. Sie tun weh. Gerade die extreme Verletzlichkeit gekoppelt mit der unsagbaren Angst, gekränkt zu werden, machen es so schwer, sich den Verletzungen zu nähern, sie offen zu legen, sich zu trauen, zu ver-trauen.

Der Mensch im Eisenofen lernt auszuteilen, um sich zu schützen, austeilen schafft Distanz, wie die schneidenden Schwerter  und vermittelt damit ein Gefühl der Überlegenheit. Im Elfenbeinturm sitzend, tief im Innern leidend, aber ohne echten Kontakt.
Der Eisenofen flüchtet, aber er wird nicht wirklich autonom. Er flieht hinter gläserne Berge und schneidende Schwerter, die wie Gefängnisse wirken. Wissen, Macht, Lob…das alles macht nicht wirklich frei. 

„Wenn er einen anderen Menschen idealisiert, dann nur, um sich mit seiner vermeintlichen oder tatsächlichen Überlegenheit zu identifizieren. Wird er von dem gerade noch idealisierten Menschen auch nur geringfügig gekränkt, erfolgt die Entwertung prompt und radikal.“ 

„Nur wer die eigenen Schwächen erkennt, sich mit ihnen anfreundet, wie dies die Königstochter mit den Itschen vorgemacht hat, überwindet die starren Glasberge, kommt anderen Menschen näher, weil er nun auch deren Unvermögen, Ängste und Fehler besser akzeptieren kann.“ 

Schon in der Bibel steht: Schwerter zu Pflugscharen machen. Der Pflug bricht den Boden auf, damit die Saat Wurzeln schlagen kann, aufgeht und Früchte trägt. Eine mühsame Arbeit, die viel Geduld verlangt und man weiß vorher nie, ob sich die Arbeit lohnt, ob es Früchte geben wird. Die Königstochter, die mit dem Pflugrad über die schneidenden Schwerter fährt, ist bildlich die Darstellung für die Aufgabe der aggressiven Abwehr, die mit Abwertung, beißender Ironie und Verletzungen auf Distanz hält, wer zu Nah kommen könnte.

Im Märchen fährt die Königstochter über den See. Und auch hier steht das Wasser für das Unbewusste. Der Mensch im Eisenofen löst Probleme gerne über den Kopf, hat sich dem Rationalen verschrieben…ein Kopfmensch. Die Gefühle sind ins Unbewusste verbannt. Diese Gefühle, die abgespalten und nicht spürbar sind, gleichsam gefährlich anmuten, müssen mit dem Kopf wieder verbunden werden, zu einer Gestalt. 

Die Verletzungen in der Kindheit waren meist so früh, dass es keine Erinnerung gibt. Manchmal finden sie aber ihren Weg, in Gegenwartsmomenten, in denen man sie fassen kann oder wieder weg schickt. Im Märchen ist der Königssohn betäubt, wenn sie bei ihm ist. Sie findet keinen wirklichen Kontakt, keine echte Begegnung. Erst die letzte der drei Begegnungen bringt Erfolg, aber sie ist hartnäckig. 

Sind die Eisenofen-Menschen in Beziehungen und konnten kein wahres Selbst entwickeln, dann haben die Beziehungen einen merkwürdigen Charakter. Es geht um Vorteile, geht die Rechnung nicht mehr auf, dann wird die Beziehung verlassen. Ist der Gewinn zu gering, dann wird der Einsatz zurückgefahren. Aber tiefe Trauer und echte Freude wird nicht erlebt.
Auf dem Weg aber, im Märchen, wenn die Hindernisse und Schwierigkeiten überwunden werden, dann können die letzten Schritte vollzogen werden.
Das Märchen zeigt beide Seiten der Medaille: die Königstochter, die alles hingibt, sich veräußert, alle Äußerlichkeiten opfert, um beim Königssohn zu sein. Ihre Trauer ist tief, und ich Treue hat kindlich anhänglichen Charakter. Auf der anderen Seite der Königssohn, betäubt durch Erfolg, Prestige, Macht, Einfluß und die Jagd danach. Alles wird perfektioniert, mit viel Energie erreicht, mit allen möglichen Mitteln erkämpft. Lieben zu erlernen ist da kein erstrebenswertes Ziel, das soll von alleine kommen, in der Form des richtigen Partners.

„Sehnsucht nach Liebe ist Liebe. Und siehe, du bist schon gerettet, wenn du versuchst, der Liebe entgegenzuwandern.“ Antoine de Saint-Exupéry

Für den Mann gilt es, die verlorene weibliche Seite, die weiche Seite, das Yin zu erlösen. Sie wurde eingesperrt in der Zeit der Verletzung, denn sie war nicht hilfreich. Sie sucht integriert zu werden. Sich positiv abhängig machen zu können, die Fähigkeit zur mitfühlenden, warmherzigen Beziehungsgestaltung, dann muss durch Eroberung und Verführung nicht mehr die „Männlichkeit“ bewiesen werden.
Für die Frau gilt es unabhängig und selbstständig zu sein, ihren Mann zu stehen. Dazu gehört, sich angemessen wehren zu können, eigene Ziele zu verfolgen, selbstsicher und selbstbewußt zu leben.

„Du brauchst nichts zu tun, um geliebt zu werden!“

3 Kommentare:

  1. Danke für die Veröffentlichung des Textes. Jetzt verstehe warum ich der bin, der ich bin und warum ich so handele, wie ich handle.

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  2. Hallo,
    ich habe das Buch und das Märchen gelesen und mir sind die Augen aufgegangen, vielen Dank für den Kommentar hierzu...unglaublich hilfreich...Guten Start ins neue Jahr

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